Tag 4 – Capri: Meeresfelsenschönheit als Treibstoff für den Massentourismus wie für Reich-Mächtig-Society

Die Schiffe mit ihren Dieselmotoren spucken täglich 7000 Touristen und Touristinnen am Hafen von Capri aus. Bis zu 30.000 sollen es an einem Wochenende sein. Für meine Schülerinnen und Schüler ist der heutige Tag in mehreren Dimensionen ein lebendiger Anschauungsunterricht.

Wir erleben, wie Tourismus funktioniert. Dies ist ideal für das Fach Geographie und Wirtschaftskunde. Und so geht’s: Man braucht vor allem ein paar herausragend schöne und möglichst sensationelle und historisch aufgeladene Sights. Für Capri ist es die blaue Grotte und sind es ein paar besondere Felsblöcke an der Küste. Capri geht ein besonderer Ruf voraus, der ein eigenes Marketing nicht mehr nötig hat. Diese Insel im Golf von Neapel ist die Insel der Reichen und Mächtigen, über die geschrieben und berichtet wird. So wurde Capri zum Sehnsuchtsort stilisiert.

Nach einer Bootsfahrt im traumhaft tiefblau-türkisen Wasser hinüber zu der Insel mit den steilen Klippen und Felswänden beginnt zunächst das Tourismustreiben in Capri Marina. Wir teilen uns in Gruppen auf, die eigenständig die Insel in 5 Stunden erkunden können. Ins Zentrum zu den Nobelboutiquen von Capri fahre ich nicht hinauf. Die Straßen würden nach den Textilien der exquisiten Nobelmarken riechen. Auch den Ansturm auf die blaue Gotte lasse ich aus. Es hieße für mich unter den Tausenden zu sein: Rein ins Boot, rein in die Grotte, blaues Licht bewundern, raus aus der Grotte. Es wären 35-50 Euro ins Tourismusbudget geflossen. Weiters braucht es für jeden Tourismusort einige wenige Konsumgüter, die mit der Lokalität verknüpft sind. Für Capri sind es handgefertigte Ledersandalen, die sich bestenfalls eignen, um sich auf den Teppichböden der Luxushotels zu bewegen. Hauptprodukt sind aber Zitronen, die vor allem als Limoncello in den Bars angeboten oder als Flaschen verkauft werden – um so den Zuckergehalt der Touristinnen und Touristen wieder in die Höhe zu bringen. Zitronenstrukturen gibt es auch auf den angepriesenen Tontellern, Schürzen, Servietten, Flaschenstöpseln, Socken – eigentlich auf allem, was vermarktbar ist, ähnlich wie in den Souvenirshops von Venedig der Markusdom oder in Paris der Eifelturm zu finden ist. „I was here“, kann der Besitzer damit stolz signalisieren. „I was on Capri.“

Einige Meter hinter dem Hafen wird es ruhig. Von dort aus ist ein treppenförmiger Weg steil hinauf nach Anacapri angelegt, die zweite Ortschaft dieser Insel. Bevor Ende des 19. Jahrhunderts eine Straße in die fast senkrechte Felswand gebaut wurde, war dieser Pfad, der auf die griechische Besiedelung zurück geht, die einzige Verbindung zwischen Capri unten und Anacapri oben. Hinaufgehend ist es mir möglich, mich auf die Fauna der Mittelmeerinsel einzulassen, den Zitronenbaum – jetzt sind die Zitronen wirklich echt und deren Geschmack ist nicht zu Alkohol oder Parfum transformiert worden. An einem anderen Baum wachsen Physalis. Die Blüten einer tropischen Kletterpflanze mit kräftig violetten Blütenblättern und dreistiligen Fruchtblättern sind wunderschön. In einer Touristenstraße in Anacrapi schalte ich wieder meine Sinne aus und flüchte den Bergpfad hinauf zum Monte Solaro. Gefühlt Millionen von Zikaden zirpen in der Mittagshitze. Hunderte von Eidechsen flitzen erschrocken über den unerwarteten Wanderer über den Pfad. Eine dünne schwarze Schlange hat ebendiesen erschreckt. Auf den Gipfel Monte Solaro führte auch eine altertümliche Sesselbahn und der Rundumblick auf Capri und das Meer zu allen Seiten ist wirklich beeindruckend. Statt Gipfelrestaurant gehe ich durch Macchie noch auf einen benachbarten Gipfel im Osten und weiter zu einem Aussichtspunkt hoch über der Stadt Capri. Hier bin ich wirklich ganz alleine, während unten sich auf engstem Raum die Touristenmassen stauen. Die Felsformationen der Küste sind wirklich etwas Besonderes. Tiefblau ist das Meer – geht es doch mehr als 3000 Meter in die Tiefe. Steil sind die Klippen. Zu viele Motorboote oder Jachten nehmen aber etwas vom natürlichen Reiz der Landschaft. Bei der Rückfahrt ans Festland umkreist unser Boot die Insel und fährt als besonderen Leckerbissen auch durch die Felshöhle von einem der drei vorgelagerten imposanten Klippenfelsen, die auf keinem Touristenbild von Capri fehlen dürfen. Der Vesuv hinter dem Golf von Neapel und das Festland der sorrentinischen Halbinsel sind als Orientierungspunkte im Osten. Im Nordwesten tauchen die Umrisse von Ischia auf.

Capri eignete sich auch, um in die Geschichte zu blicken und daraus zu lernen: Von bekannten reichen Männern, die diskriminierenden Schwulenparagraphen in ihren Heimatländern entflohen und hier ein Refugium fanden. Von einem der reichsten Männer Deutschlands, Alfred Krupp, dessen Reichtum auf Krieg beruhte und der zum Ehrenbürger von Capri wurde. Dass es eine kleine, superreiche Schicht gibt, sehen wir an den Luxus-Jachten, die um Capri kreisen. In meinen Gedanken sehe ich die Verarmten von Neapel, die gestrandeten Existenzen, die Arbeit und Job und oft auch den Halt in einer Familie verloren haben, die zu Habenichtsen geworden sind und die Schönheit dieser Insel wohl nie erleben werden, obwohl sie nur einen Steinwurf von ihr entfernt wohnen.