Vor 80 Jahren
Am 21. August 2022 sind meine Gedanken bei einem Mann, der mir im Laufe des Lebens in vieler Hinsicht Inspiration und Ermutigung gewesen ist. Vor 80 Jahren, am 21. August 1942, wurde der Pallottinerpater Franz Reinisch in Berlin-Brandenburg hingerichtet. Obwohl er als Märtyrer starb, steht seine Seligsprechung noch aus. Vor drei Jahren besuchte ich jenen Ort, wo Reinisch und zwei Jahre später Franz Jägerstätter durch das Fallbeil starben.
Der einzige katholische Priester mit der Verweigerung des Fahneneides
In den Studienjahren war ich in verschiedenen Funktionen in der Katholischen Jugend aktiv. Uns war die Etablierung des Zivildienstes ein großes Anliegen. Es gab damals die Zivildienstkommission. Wer Zivildiener werden wollte – das heißt die Wehrpflicht verweigern – wurde von einer vom Innenministerium eingerichteten Kommission auf seine Gewissengründe geprüft. Ich beriet damals junge Männer, die zu dieser Kommission gehen wollten, hielt Vorträge und machte Schulungen zum Thema Pazifismus und Wehrdienstverweigerung. In der Kommission selbst wurden die Wehrpflichtigen oft verunsichert. Die Kirche würde doch den Wehrdienst nicht ablehnen, wurde gesagt. Die Kirche würde im Gegenteil die Bedeutung der militärischen Verteidigung als großen Wert sehen. Mit Blick auf Jägerstätter und Reinisch konnte ich aber auf eine andere Geschichte verweisen: Den Vorrang des Gewissens vor jeder äußeren Pflichterfüllung. Fast alle „Chef-Posten“ in der Diözese waren damals noch besetzt von Priestern, die vor allem als Militärgeistliche ihren Dienst in der Wehrmacht geleistet hatten. Damit sei nicht gesagt, dass sie nationalsozialistische Ideologien hatten. Im Gegenteil. Etliche von ihnen erlitten auch die Repressalien in einem Land, in dem in der nationalsozialistischen Herrschaft ein ganz fanatischer Hitler-Fan sein Unwesen als Gauleiter trieb. Den Fahneneid allerdings verweigerte nur einer unter den vielen Priestern: Franz Reinisch.
Politische Begründung
Franz Reinisch dachte und handelte politisch und argumentierte seine Verweigerung mit politischen Argumenten. Bereits 1939 – also schon ganz zu Beginn des Krieges, sagte er: „Den Eid, den Soldateneid auf die nationalsozialistische Fahne, auf den Führer, darf man nicht leisten. Das ist sündhaft. Man würde ja einem Verbrecher einen Eid geben.“ Es waren politische Gründe, die zu seiner Ablehnung von Hitler führten. Seine Gewissensgründe ruhten auf einer politischen Einsicht zu einer Zeit, in der viele – auch in den Bischofshäusern – eine Rechtfertigung für den Krieg sahen, um den Bolschewismus zu bekämpfen. Reinisch durchschaute die Nazi-Propaganda, weil er politisch dachte. Dies ist wohl auch Auftrag für eine Kirche heute, die in einem gewissen Sinne immer auch politisch sein muss.
Vorrang des eigenen Gewissens
„Ich denke, rede und handle nicht, was und weil es andere denken, reden, handeln, sondern weil das meine innere Überzeugung ist!“ So lautet ein Schlüsselsatz von Pater Reinisch. Er sah sich einer massiven Infragestellung seiner geplanten Verweigerung des Eides ausgesetzt und wurde von den Oberen unter Druck gesetzt. Der Mainstream der Bischöfe stand offen einer Verweigerung des Eides entgegen, aber auch in seiner eigenen Ordensgemeinschaft wurde Reinisch heftig kritisiert. Man drohte ihm sogar, ihn aus dem Orden auszuschließen. Pater Reinisch blieb standhaft. Sein Gewissen stand über den Direktiven von Oberen. Viele würden ihn sogar als „stur“ bezeichnen. Er sagte: „Sooft ich auch mein Gewissen überprüfe, ich kann zu keinem anderen Urteil kommen. Und gegen mein Gewissen kann und will ich mit Gottes Gnade nicht handeln. Ich kann als Christ und Österreicher einem Mann wie Hitler niemals den Eid der Treue leisten.“
Reinisch konnte seine Kraft zum Widerstand wesentlich auch aus dem Glauben schöpfen, seiner Verbundenheit mit Gott und dem Evangelium. Da kannte er sich als Philosoph und Theologe aus. Sätze wie „man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ waren für ihn keine leeren Worte, sondern wurden gelebt. Vor allem aber sah er sich als Priester in der Nachfolge Jesu, den man in der herrschenden Diktion aufgrund seines konsequenten Gewaltverzichts wohl auch als „stur“ bezeichnen könnte.
Dem eigenen Gewissen zu folgen, das heißt auch manchmal: in Widersprüche zu geraten, die unbequem sind, die den Widerstand von Vorgesetzten zur Folge haben könnten und eine herrschende Ordnung stören können. Niemand von uns muss aber heute deswegen mit Verfolgung oder gar Tod rechnen. Umso mehr könnte es in vielen Bereichen ein mutiges Handeln geben. Nichts, nein gar nichts, lässt sich mit der Nazi-Terrorherrschaft vergleichen. Doch die widerständische Grundhaltung gilt auch für andere Bereiche: Sowohl politisch wie auch in der Kirche. Meine pazifistischen Grundhaltungen verbunden mit entsprechendem politischem Handeln – sei es in der Beteiligung an den großen Friedensdemonstrationen gegen die NATO-Nachrüstung oder im Widerstandscamp gegen die Stationierung von Abfangjägern, in der Solidaritätsarbeit für die Totalverweigerer oder in der Organisation von Friedenskundgebungen – all dies gefiel nicht immer bis zu einem Berufsverbot in meiner Heimatdiözese. Heute ist es anders. Heute ist Franz Jägerstätter seliggesprochen und Pater Franz Reinisch wird einer der nächsten Seligen sein. Die katholische Kirche ist dankbar, Selige des Widerstandes gegen das Naziregime in ihrer Mitte zu haben.
Ermutigung im Heute
Nochmals sei gesagt: Das Naziregime ist unvergleichlich. Doch auch heute gilt es hinzuschauen, wo es Krieg und Kriegsvorbereitungen gibt. In Österreich ist eine Verdoppelung des Militärbudgets geplant und gerade wurden in meinem Land Panzer- und Artillerieübungen durchgeführt. Spitzenpolitiker der Grünen haben ihre gewaltfreien Positionen verlassen und setzen sich für Waffenlieferungen an ein kriegsführendes Land ein – „zur Verteidigung“, wie es heißt. Der Militärpakt Nato wächst und alle Nato-Staaten genauso wie China, Russland, Indien, Israel oder arabische Staaten rüsten massiv auf. Da tut es eben gut, auf Männer wie Pater Reinisch zu schauen, die anders dachten und handelten.
Es ist Sonntag Nachmittag. Ich fahre zu ein paar jener Orte, die mit Reinisch verbunden sind. An der Friedhofsmauer seiner Primizkirche in Innsbruck-Wilten erinnert eine Gedenktafel an Pater Reinisch und seine dort begrabenen Eltern. Ich setze mich in die prunkvolle Basilika, wo er seine Primizmesse gefeiert hatte. Gegenüber der Primizkirche führt der Pater-Reinisch-Weg zu einer kleinen Gedenkstätte mit einem Reinisch-Relief und einem Marienbild. Unter den Namen der „für die Freiheit Österreichs Gestorbenen“ am Freiheitsdenkmal am Eduard Wallnöfer-Platz ist auch der Name Franz Reinisch. Unweit davon in der Gilmstraße ist Franz in die Volksschule gegangen. Es geht noch vorbei am Leopoldina-Haus in der Bürgerstraße, an der Johanniskirche und der Herz-Jesu-Kirche, wo jeweils auch Reliefs an Reinisch erinnern. Wichtiger noch als diese äußeren Gedenkorte ist es freilich, seinen Geist des Widerstands gegen illegitime Herrschaftsansprüche und für ein Leben in der Nachfolge Christi lebendig sein zu lassen. Pater Franz Reinisch. Danke!
Klaus Heidegger, 21.8.2022