Ich glaube nicht, dass Kinder in Armutsverhältnissen hierzulande – eine Viertelmillion sind es – mit einem ungesunden Billig-Burger abgespeist werden sollen, sondern dass alle Kinder das Recht auf eine ausgewogene und gute Ernährung haben. Es ist genug für alle da, wenn es nur gerecht und fair verteilt wird.
Ich glaube nicht, dass die meisten Frauen in Teilzeit – Dreiviertel aller weiblichen Beschäftigten sind es – aus Bequemlichkeit weniger Lohnarbeit machen, sondern dass sie ihre Zeit in Kinder- und unbezahlte Carearbeit investieren. Die Care- und Familien- und Kinderarbeit muss zwischen den Geschlechtern gerecht verteilt werden. Eine Arbeitszeitverkürzung könnte das Problem entschärfen.
Ich glaube nicht, dass die Autofahrenden das Recht haben, durch schnelles Fahren Leib und Seele der Menschen zu gefährden und dabei die Treibhausgasemissionen fahrlässig in die Höhe treiben – ein Drittel aller Treibhausgasemissionen in Österreich geht auf den Verkehr zurück, sondern dass Tempolimits von 30/80/100 das Gebot in Zeiten des Klimanotstands sind.
Ich glaube nicht, dass im kurzfristigen Interesse von Wirtschaftsunternehmungen und zum Ausbau von Straßenprojekten in Österreich weiterhin die Böden versiegelt werden sollen – rund 12 Hektar pro Tag sind es derzeit, sondern dass die bestehenden Leerstände gefüllt werden können, dass die vorhandenen Verkaufsflächen längst genügen, Parkplatzausbau ein Anachronismus aus dem fossilen Zeitalter ist und Straßen rückgebaut statt ausgebaut werden sollen.
Ich glaube nicht, dass mit noch mehr Waffengewalt Kriege gestoppt werden können – mehr als 300.000 Getötete im Krieg in der Ukraine, hunderttausende Verletzte an Leib und Seele, vollkommen zerstörte Städte und Landstriche nach 20 Monaten Krieg und militärischer Verteidigung, sondern ich glaube, dass der Weg zum Frieden in gewaltfreien Mitteln über Waffenruhe, Diplomatie, vertrauensbildende Maßnahmen, Vermittlung durch internationale Organisationen und Verträgen funktionieren kann. Ein Blutfleck kann nicht mit Blut weggewischt werden. Aug um Aug macht die Welt blind.
Ich glaube nicht, dass eine Aufrüstung des Bundesheers und eine gewaltige Erhöhung des Militärbudgets – zusätzliche 16 Milliarden in den nächsten 10 Jahren für neue Waffen und Waffensysteme – Sicherheit bringen würde, sondern ich glaube, dass Österreich beispielhaft auf eine nationale militärische Verteidigung verzichten könnte und dadurch zugleich mehr Augenmerk auf eine aktive Neutralitätspolitik setzen und selbst Konzepte einer sozialen Verteidigung umsetzen könnte.
Ich glaube nicht, dass mit Mauern, Frontex und Pushbacks und einem populistischen Ruf nach der „Festung Europa“ die Asyl- und Migrationskrisen sich menschengerecht lösen ließen – allein in diesem Jahr sind im Mittelmeer schon 2500 Flüchtende ertrunken, sondern dass das Recht auf Asyl nicht ausgehöhlt werden darf und dass humanitäre Korridore ein Flüchtlingssterben stoppen könnte. Wer bei den Push-Faktoren ansetzt, wird sich gegen Kriegsmaterialienexporte in vielen Ländern des Südens sowie für wirklich greifende Klimaschutzmaßnahmen engagieren. Kriege, klimabedingte Unwetterkatastrophen und damit Hunger und Elend sind die Hauptfaktoren für Flucht und Migration.
Ich glaube nicht, dass die Erderhitzung und ihre katastrophalen Folgen unabwendbar sind – allein im vergangenen September war die Temperatur in Tirol um 3,5 Grad wärmer als in den Jahren davor, sondern ich glaube, dass eine ökologische Wende in einer Verbindung von politischen Maßnahmen und individuellem Verhalten das Erreichen der Kipppunkte verhindern könnte. Auf die mahnenden Aktionen von Extinction Rebellion, Fridays for Future oder Letzter Generation ist hinzuhören und die verharmlosenden Verschwörungsgeschichten der Rechtspopulisten sind zu ignorieren.
Ich glaube nicht, dass es eine Koalition mit einer Partei geben kann, deren Chef und dessen Jugendorganisation mit rechtsextremen Versatzstücken operieren – das Narrativ vom „Volkskanzler“ gegen den „Systemkanzler“, die fackelschwingenden Jung-FPÖ-ler mit verklärtem Blick zum Hitlerbalkon …, sondern dass es klare Abgrenzung und keine Verharmlosung braucht.
Erklärung:
Burger-Fan und Bundeskanzler Nehammer hat die Wahlkampf-Kampagne „Glaub‘ an Österreich“ gestartet. Dieser suggestive Imperativ verstört mich gleich mehrfach:
Erstens zucke ich zusammen, wenn ich verordnet bekomme, was ich zu glauben habe. Glauben hat für mich zunächst immer eine subjektive Dimension, die verbunden ist mit inneren Einstellungen, mit eigenen Überzeugungen. Selbst das zentrale Glaubensbekenntnis der christlichen Kirchen beginnt daher mit einem: „Ich glaube …“ Was ich zu glauben habe, lasse ich mir nicht vorschreiben.
Zweitens irritiert es, wenn der mächtigste Politiker Österreichs auf Ratschlag von Spindoktoren und Werbegurus bewusst eines der wichtigsten religiösen Grundvokabel als zentrales Reizwort für seine Politik nimmt und damit eine religiöse Sanktionierung seiner doch nicht gerade christlichen Politik intendiert – siehe Burger-Sager!
Drittens schließlich nehme ich Nehammers Bekenntniswort als Ansporn, mir selbst Gedanken zu machen: An was glaube ich – in Abgrenzung zum Populismus rechter und rechtsextremer Parteien – bzw. an was glaube ich nicht.
Klaus Heidegger, 5. Oktober 2023
(Vorsitzender der Katholischen Aktion der Diözese Innsbruck)
(Bild: Straßenunterführung in Hall/Unterer Stadtplatz – gemalt von Mittelschule Hall)