Was in meiner Heimat Fasching genannt wird, ist hier in Nordrhein-Westfalen Karneval. Umzüge und Verkleidungen, Rituale und tiefgründige Narreteien gibt es in beiden Fällen in jeweils kulturell anderen Verpackungen. Im Kern geht es wohl stets darum, gemeinsam zu erleben, wie sich das Winterliche in der Welt vertreiben lässt bzw. wie es sich trotz oder gerade wegen winterlichen Zuständen lustvoll leben lässt. Im Ort, der mir tiefste Heimat wurde, sind es die Matschgerer, die in diesen Fasnachtstagen in ihrer Buntheit unterwegs sind mit kunstvollen Holzmasken, damit Frühling werde und neues Leben sich breit mache. In meiner Ursprungsheimat war es das Blochziehen. Das Ungezwungene im Menschen, das Wilde und Unkontrollierte bekamen Gestalt in Bären und anderen fremden mythologischen Wesen, um das Böse, die Dämonen und negativen Geister zu vertreiben. In diesen letzten Tagen der Faschingszeit bin ich einmal nicht beim fastnächtlichen Treiben im Alpenraum, sondern in der wohl umtriebigsten Karnevalsstadt. Mein politischer Blick stellt die Brücke zwischen dem großen Aufbegehren gegen Demokratiefeindlichkeit, Rassismus und Rechtsextremismus her, das sich erst vor wenigen Tagen in Köln artikuliert hatte. Wo jetzt das bunte Karnevalstreiben herrscht, demonstrierten Zehntausende zuvor gegen die gefährlich-giftigen politischen Entwicklungen in Gestalt der AfD. Beim Umzug am Faschingssonntag sind es mehrere Dutzend Schulen, diverse Organisationen und Gruppen, die sich an einem Karnivalszug beteiligen. Meine Lieblingsgruppe waren die rot-grün gewandeten und als großer Wurm verkleideten Schülerinnen und Schüler einer Waldorfschule. Sie verteilten auf die „Kamelle-„ und „Alaaf“-Zurufe der Umstehenden nicht süßes Schleckszeugs, sondern Erdnüsse und Äpfel. Auf kleinen mitgetragenen Pappschildern wurden Warnungen gegen rechtsextrem mitgetragen. Oft sind es die so kleinen Dinge mit einer so großen Botschaft. Im ganz Kleinen kann sich der Beginn einer neuen Welt, die besser sein wird, entpuppen. Dankbar dafür knacke ich die hellbraune Schale auf, in der die Nuss verborgen ist, und denke mir im Herzen „alaaf“!