Kriege beenden, nicht fortführen!

… und Kriege werden fortgeführt

Nun schon seit mehr als zwei Jahren sind wir Zeitzeuginnen und Zeitzeugen für eine Zeit, in der ein neuer Krieg in Europa legitimiert, geführt und immer noch mehr angefacht wird. Im Fernsehen dürfen hierzulande vornehmlich jene Männer Kriege erklären, manche von ihnen in Kampfuniform, die sich in der Logik des Kriegsführens auskennen. Wir werden zu Expertinnen und Experten von Waffengattungen; wir kennen inzwischen die Unterschiede zwischen Marder- und Leokampfpanzer; wir wissen, welche Reichweite eine Taurus-Rakete hat und warum selbst F-16-Kampfjets für das Kriegsgeschehen in der Ukraine Bedeutsamkeit erlangen könnten. Die Erkenntnisse der Sozialwissenschaften und der Friedensforschung bleiben dagegen unbeachtet und bedeutungslos für das Weltgeschehen. Das Hinblicken auf die Kriegsursachen – geht es allein um einen autoritären Despoten in Moskau?,  wäre kriegsstörend und es würde die so profitablen Geschäfte der Kriegsmaterialienproduzenten, ihrer Aktionäre sowie der Waffenschieber in Frage stellen. Die führenden Politikerinnen und Politiker Österreichs sekundieren dem militärischen Treiben und noch mehr Waffenlieferungen an die Ukraine werden als alleinige Strategie hochgelobt. „Masters of war“ – so lautet ein Titel eines Liedes des Literaturnobelpreisträgers Bob Dylan, in dem er schon vor einem halben Jahrhundert die perverse Logik des Krieges in poetischer Sprache aufdeckte. Die „Masters of war“ treiben heute mehr als zur Zeit des Kalten Krieges die Welt einem Abgrund entgegen.

… und eskalieren bis zur gegenseitigen Auslöschung

Kriegerische Rationalität führt zu stets neuen Eskalationsstufen. Von mir aus liegt Wien so weit entfernt wie Wien von der Ukraine. Dort fliegen die Bomben und Raketen seit der völkerrechtswidrigen Invasion (sic) des russischen Regimes; dort wird unermessliches Leid produziert, sterben Menschen, werden Körper zerfetzt, verlieren Kinder ihr Väter, die zu Soldaten gemacht wurden, werden Städte und Äcker und Felder zerstört, werden Minen gelegt und Menschen zu Krüppeln geschossen. Auch rund um den zweiten Jahrestag haben westliche Staatenlenker an der Spirale des Rüstens und Aufrüstens weitergedreht. Im Spätabendprogramm wird ein so genannter „Sicherheitsberater“ interviewt. Als würde er wie ein Sportreporter von einem Länderspiel sprechen, meinte er: Der Westen müsse alles tun, um die Russen zu „schlagen“. Er forderte daher: Noch mehr Munition für die Ukraine, noch bessere Waffen, auch die Taurus-Raketen müssten endlich geliefert werden und die Kampfjets sollten auch nicht ausgespart werden. Und auch die NATO-Staaten müssten militärisch viel stärker werden. Ein CDU-Politiker spricht am gleichen Tag davon: Der Westen müsse mit einer weiteren Eskalation gegenüber Russland reagieren. Der russische Präsident antwortet wie gewohnt: Auf jeden Aufrüstungsschritt des Westens reagiert er mit neuen Aufrüstungsplänen und Bedrohungsszenarien. Er droht nun nicht mehr nur mit dem Einsatz taktischer Atomwaffen, sondern auch mit dem strategischen Atomwaffenarsenal. Der thermonukleare Krieg sei eine „reale Gefahr“ und würde zugleich die „Auslöschung der Zivilisation“ bedeuten. In Putins Analyse ist es der Westen, der Russland zu einer strategischen Niederlage zwingen möchte und sein Land in einen Rüstungswettlauf hineinzieht.

… und will „kriegsfähig“ und „kriegstüchtig“ werden

Begriffe als Absichtserklärungen, die noch vor ein paar Jahren völlig ausgeschlossen gewesen wären, werden nun von höchster politischer Stelle offen ausgesprochen. Der deutsche Verteidigungsminister spricht davon, dass Deutschland „kriegstüchtig“ gemacht werden sollte und in Österreich nennt die Verteidigungsministerin als Ziel für das heimische Heer die „Kriegsfähigkeit“. So wird freudestrahlend von Claudia Tanner angekündigt, dass das Heer bald 250 neue Kampfpanzer plus entsprechender Raketentechnologie mit Boden-Luft-Raketen ankaufen werde. 11 Milliarden mehr an militärischen Verteidigungsausgaben wird es in nächster Zeit in Österreich geben. Auch das militärische Jahres-Budget klettert permanent nach oben. Im großen Maßstab geschieht die Aufrüstung in allen NATO-Staaten. Sondermilliarden werden auf einmal aus den Budgets herausgeschält. 110 Milliarden will allein Deutschland an Sonderausgaben für das Militär locker machen. Die Verteidigungsetats werden hinaufgehoben. Dabei geben die europäischen Staaten mit rund 400 Milliarden Euro bereits ein x-faches für Militär und Rüstung aus als Russland. Allerorten läuft die Kriegsmaterialienproduktion auf Hochtouren.

… die nichtmilitärische und politische Rationalität des Friedens

Die Politikwissenschaften und die Friedensforschung aber auch ein Blick in die Geschichte der Kriege würden eine andere Logik vorschlagen, die mit Vernunft, Empathie und wirklicher Logik zu tun hat.

Als erster Schritt bräuchte es zunächst – so Gerhard Mangott – eine Waffenruhe, die dann zu Friedensverhandlungen genützt werden könnte. Das Sterben, das Verstümmeln, das Zerstören muss ein sofortiges Ende haben. Auf militärischem Weg lässt sich für keine Seite auf absehbare Zeit ein Sieg erringen. Dies wird auch von Experten aus dem Militär bestätigt. Der ehemalige NATO-General Harald Kujat etwa sagt: Es gibt nur einen Weg zum Frieden: den Weg der Verhandlungen. Der echte Sieg könne nur ein Verhandlungssieg sein.Es gilt, sich die Frage zu stellen: Was könnten beide Seiten an Forderungen in die Verhandlungen mitnehmen?

Man würde es mit Blick auf die Ursachen des Krieges zweitens wagen, auf Wissenschaftler wie John Mearsheimer zu hören. Er ortet die Ursache des Krieges vorrangig darin, dass durch die NATO-Expansion Russland sich in seinem Sicherheitsbedürfnis gegenüber den westlichen Mächten bedroht fühle.  Die Konsequenz aus diesem Blickwinkel wäre dann, die NATO nicht noch mehr an den Grenzen Russlands zur Stellung zu bringen, sondern ihre Erweiterung zumindest für die nächste Zeit zu stoppen. Der krankhafte Revanchismus und Revisionismus von Putin, seine Kränkung und despotische Politik sind wie eine Rechtfertigung für die westliche Politik in den letzten Jahrzehnten. Wer Kritik an der NATO-Erweiterung übt, ist nicht mit einem Putin-Befürworter gleichzusetzen. Putin war und ist ein gemeingefährlicher Autokrat, der über Leichen geht. Gerade um ihn aber zu stoppen und nicht ständig neu zu kränken und zu reizen, braucht es auch die Bereitschaft, die Sicherheitsinteressen Russlands nicht einfach zu ignorieren.

Man würde drittens dann nicht mehr von Eskalation, sondern von Deeskalation sprechen, von Schritten, die über eine Feuerpause, einen Waffenstillstand und Friedensverträge zu einem friedlichen Zusammenleben führen könnten. Dazu bräuchte es internationale Vermittler, internationale Konferenzen und das Einbinden jener Organisationen wie die UNO oder die OSZE, die als Plattformen für Friedensgespräche dienen könnten. Österreich könnte als Vermittler dienen. Dazu braucht es freilich mehr als Solidaritätsbekundungen mit der Ukraine, mehr als das demonstrative Beflaggen von Amtsgebäuden hierzulande mit den gelb-blauen ukrainischen Nationalfarben. Mit Waffenlieferungen wird das Sterben bestimmt nicht beendet, sondern fortgesetzt. Die Friedensformel lautet: Nicht Waffen, sondern Verhandlungen. Das könnte zunächst bedeuten, dass die heutigen Grenzziehungen eingefroren werden und nicht weitergekämpft wird, bis die von Russland annektierten Gebiete mit einem hohen Blutzoll wieder zurückerobert werden.

Kriege stoppen, das würde viertens auch bedeuten, den im Granatennebel verlorenen Blick wieder freizubekommen für das, was die Menschheit bedroht: der menschengemachte Klimawandel, die Erhitzung des Planeten Erde, das multiple Aufschaukeln von Katastrophen, wenn die Kipppunkte erreicht werden. Die wichtigste Klimaschutzmaßnahme liegt in der Friedens- und Abrüstungspolitik. In keinem anderen Bereich wird der Klimawandel so negativ befördert wie im Führen von Kriegen und der Vergeudung von Ressourcen für militärische Maßnahmen.

Meine Hoffnung lautet, dass es vor allem die Kirchen sind, die gemäß des Auftrags ihres Gründers „Friedensstifterinnen“ sein sollten und dem Weg des Gewaltverzichts verpflichtet sind. Wo aber sind die Repräsentanten der Kirche, die der Kriegstreiberei widersprechen, die dem Aufrüstungswahn ihre andere Botschaft entgegenhalten, die Anwältinnen für eine gewaltfreie Strategie der Konfliktintervention und des Friedensaufbaus sind?

Klaus Heidegger, 3. März 2024
(Foto: Kreuzweginstallation in der Jesuitenkirche in Innsbruck von Hans Seifert)

Kommentare

  1. Lieber Klaus, vielen Dank für diese klaren Worte! Deine Analyse teile ich vollständig.
    Wenn jetzt Deutschland auch noch Taurus-Marschflugkörper per Luftwaffe liefert und einsetzt, dann schauen wir dem 3. Weltkrieg tatsächlich ins Auge. Hoffentlich passiert das nicht!

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