Stell dir vor, man würde Kriege verweigern!

wenn Krieg herrscht
und niemand geht hin
dann schweigen die Waffen
dann lösen sich Fäuste
dann wird Frieden gemacht

wenn Verlockungen zum Kriegsdienst nicht länger locken
und Einberufungen werden verweigert
dann leeren sich Kasernen
dann fließt kein Blut mehr
dann werden Felder nicht länger zu Schlachtfeldern

wenn niemand mehr lernt
das Handwerk zum Töten
dann fahren Traktoren statt Panzer
dann werden friedliche Wege gewählt
dann reichen sich Feinde die Hände

(klaus.heidegger, Juni 2024)

Kriegswirklichkeit im Juni 2024

Im Kriegsgeschehen in der Ukraine dreht sich die Eskalationsspirale. Inzwischen soll es auch möglich gemacht werden, dass mit Waffen aus der EU sowie den USA Ziele im russischen Gebiet angegriffen werden können. Neue Waffenlieferungen sind geplant. Von russischer Seite wird sogar mit dem nuklearen Atomwaffenarsenal gedroht. Mehr als deutlich ist geworden, dass mit militärischen Mitteln der Krieg nicht beendet werden kann. Nach mehr als zweijährigem Verteidigungskrieg gegen den völkerrechtswidrigen Angriff der russischen Armee zeigt sich, dass Wege zu Freiheit, Gerechtigkeit und Unabhängigkeit nicht mit Bomben, Granaten und Maschinengewehren erkämpft werden können. Das bedeutet: Dass endlich die anderen Wege beschritten werden müssten wie Waffenstillstandsvereinbarungen.

Kriegsdienstverweigerung und Desertion

Nach zwei Jahren Krieg gehen auf beiden Seiten die Männer aus, die als Krieger herangezogen werden könnten. Laut Militärführung bräuchte die Ukraine für ihren Verteidigungskrieg rund 500.000 neue Soldaten. Sowohl in der Ukraine als auch in Russland sind es zunehmend mehr junge Männer, die sich der Rekrutierung bzw. Wehrpflicht und damit einem Einsatz in den Kriegsgebieten entzogen haben oder aus den Armeen desertiert sind. Seit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg können in der Ukraine Männer zwischen 18 und 60 Jahren jederzeit zum Kriegsdienst eingezogen werden. Sie dürfen das Land nicht mehr verlassen. Auch in Russland ist es für Wehrpflichtige kaum möglich, den Dienst an der Front zu verweigern.

Die Fernsehbilder zeigen meist nur jene Männer, die auf den Schlachtfeldern kämpfen. Es sind die Bilder von Kriegern als Helden, von Kriegern als Verteidiger oder als Feinde. Es gibt aber auch jene, die hier nicht mehr mitmachen wollen. In Russland und in der Ukraine muss die Polizei auf den Straßen junge Wehrpflichtige einfangen. Wenn sich EU-Staatenlenker wie zuletzt Macron und Scholz treffen, reden sie wohl nicht darüber, wie Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren geholfen werden kann, sondern vielmehr darüber, ob westliche Waffen in der Ukraine auf russischem Staatsgebiet eingesetzt werden dürfen.

Wie viele Kriegsdienstverweigerer und Deserteure es in Russland und der Ukraine wirklich gibt, weiß niemand genau. Wie viele sich versteckt halten, untergetaucht sind, geflohen sind, darüber lässt sich nur spekulieren. In Zeiten des Krieges gelten die Kriegsverweigerer meist als Verräter. 200.000 ukrainische Verweigerer suchten beispielsweise in Deutschland Schutz. In der gesamten EU sollen sich bis zu 600.000 Wehrfähige aus der Ukraine aufhalten. Selenskyi fordert nun, dass ihnen die Aufenthaltsgenehmigung entzogen wird. In der Ukraine gibt es kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Wer verweigert oder desertiert, macht sich strafbar. Noch schlimmer geht es den Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren in Russland und in Belarus.

Asyl für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure

Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ist als Menschenrecht anerkannt. Kein Mensch darf daher gegen seinen Willen zum Kriegsdienst eingezogen werden. Das muss von allen Staaten garantiert und eingehalten werden. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2011 festgestellt. Sowohl in der Ukraine als auch in Russland oder Belarus werden Wehrpflichtige gegen ihren Willen eingezogen oder in Haft genommen, wenn sie diesen verweigern. Die Ukraine hat das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung ausgesetzt. In der Ukraine sind dafür bis zu vier Jahre Haft vorgesehen. Die EU hat bislang nichts getan, dieses Menschenrecht in der Ukraine einzufordern. Hunderte russische Verweigerer, die nicht an die Front wollten, werden in Gefängnissen festgehalten oder werden auch gefoltert, obwohl es in Russland ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung nach wie vor gibt.

Ein Ausweg aus dem Krieg könnte nun sein, dass EU-Länder einheitlich Fahnenflüchtigen aus Russland, Belarus oder der Ukraine Asyl und Unterstützung gewähren würden. Dies entspräche auch den menschenrechtlichen Grundsätzen. Wenn es ein Kriegsdienstverweigerer geschafft hat, die für sie geschlossenen Grenzen zu überwinden, bekommen ukrainische Männer derzeit einen befristeten humanitären Aufenthalt. Solange sind sie sicher in Ländern der EU. Für russische Verweigerer ist es hingegen schwierig, in der EU Asyl zu bekommen. Die Militärdienstentzieher aus Russland werden in den Asylverfahren meist abgelehnt, anders ist die Situation bei den Deserteuren. Das ist aus völkerrechtlicher Sicht ein Widerspruch. Wenn der Angriffskrieg völkerrechtswidrig ist, dann dürfte laut Völkerrecht gar niemand an diesem Krieg teilnehmen. Insofern müsste es von der EU auch klar sein, dass Männer, die sich einer Rekrutierung entziehen, automatisch einen Asylgrund haben. Kriegsdienstverweigerung ist ein Ausweg aus dem Krieg. Bereits 1926 schrieb Kurt Tucholsky vom Recht auf individuelle Verweigerung: „Unser Leben gehört uns. Ob wir feige sind oder nicht, ob wir es hingeben wollen oder nicht –: das ist unsre Sache und nur unsre. Kein Staat (…) hat das Recht, über das Leben derer zu verfügen, die sich nicht freiwillig darbieten.“

Wer den Kriegsdienst verweigert, ist nicht feige, sondern beweist eine ganz andere Form von Stärke. Auch ukrainische Verweigerer wollen ihr Land verteidigen – doch mit anderen Mitteln und nicht auf Kosten einer totalen Zerstörung ihres Landes.

Verweigerung ist in all den Kriegen stets ein Zeichen gegen den Krieg und für nicht-militärische Wege zum Frieden gewesen. Verweigerung ist nicht Feigheit, sondern Mut, ist nicht Passivität, sondernAktivität.

Klaus Heidegger, 3. Juni 2024

Kommentare

  1. Die Kriegswirklichkeit in der Ukraine und Russland (inzwischen wird ja auch Russland durch ukrainische Geschosse weit jenseits der gemeinsamen Grenze bedroht) gefährdet ganz Europa!
    Diese weitreichenden Waffen, vermutlich aus US-‚Hilfslieferungen‘, bestätigen jetzt genau das Bedrohungsszenario dem sich Russland vor Kriegsbeginn ausgesetzt gesehen hat. Deshalb wurden ja auch die Sicherheitsvereinbarungen 2021-12 gegenüber den USA und der NATO von Russland eingefordert. Im wesentlichen ging es dabei darum, dass die Ukraine nicht NATO-Mitglied wird. Leider wurde von USA u NATO nicht darauf eingegangen. Diese Texte wären noch immer ein Ausgangspunkt für Verhandlungen zu einem Waffenstillstand! Verweigerungen sind das letzte individuelle Mittel der Opposition gegen den Krieg – mit allen Konsequenzen! Siehe Jägerstätter!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.