Von der gewaltfreien Befreiung des Petrus aus mörderischer Gewalt

Die Geschichte von Simon Petrus, der verhaftet, in Ketten gelegt und bestens bewacht in Einzelhaft genommen wird, höre ich am Hochfest Petrus und Paul, dem 29. Juni. Ich höre die Geschichte auch an einem dafür passenden Ort: in der Pfarrkirche Silz im Tiroler Oberland. Sie ist den beiden Apostelfürsten geweiht. Ein Fresko im Nazarenerstil der Pfarrkirche bildet die Gefängnisszene ab.

Wir finden die Erzählung im 12. Kapitel der Apostelgeschichte. Zunächst wird dort die Gewaltsituation mit knappen Worten angedeutet. Herodes lässt die Mitglieder der Jerusalemer Urgemeinde inhaftieren, misshandeln und foltern. Gemeint ist Herodes Agrippa, ein Enkel von König Herodes, der als Kindermörder von Betlehem in die Geschichte eingegangen ist. Jakobus, der Bruder des Johannes, und es könnte auch der leibliche Bruder von Jesus sein, ist mit dem Schwert hingerichtet worden – enthauptet, so wie später dann Paulus, so wie viel zu viele im Laufe einer grausamen Herrschaftsgeschichte. Wir können bei Herodes Agrippa von einer Terrorherrschaft sprechen. Wenn ich am Festtag Peter und Paul und in der Kirche dieser beiden Apostel die Geschichte höre, dann empfinde ich Wut und Trauer, weil derlei Herrschaftsgewalt auch heute nicht vorbei ist an zu vielen Orten dieser Welt. Menschen werden willkürlich festgehalten, verurteilt und inhaftiert. Die Nachricht vom Tod von Navalny ist erst einige Monate her. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International nennt die Vielzahl an Ländern, in denen weiterhin Hinrichtungen stattfinden.

In der lukanischen Erzählung aus der Apostelgeschichte wird herrschaftskritisch erwähnt, dass Herodes auch Petrus inhaftieren ließ, weil er merkte, dass es „den Juden gefiel“. Herodes begründet seine perfide Terrorpolitik mit einem Verweis auf den Volkswillen – argumentiert und handelt also mit jenem zynischen Populismus, den wir von den rechtsradikalen Parteien kennen, die selbst bereit sind, über Leichen zu gehen, um ihre Ziele zu erreichen. Vor der Gefahr einer antijüdischen Deutung muss an dieser Stelle jedenfalls gewarnt werden. Simon Petrus und alle in der Jerusalemer Urgemeinde waren selbst Jüdinnen und Juden. Nicht „das Volk der Juden“, wie es in der Apostelgeschichte heißt, begrüßte den Terror gegenüber jenen Männern und Frauen, die sich der messianischen Befreiungsbotschaft Jesu zugehörig fühlten.

Ich lese und deute diese Stelle wiederum auf dem Hintergrund der jahrhundertealten Frage, wie in einer extremen Situation von Gewalt Befreiung ohne Gegengewalt gelingen kann. Der lukanische Autor beschreibt fast minutiös die Übermacht der Gewaltherrschaft des Herodes. Es ist die Rede von vier Abteilungen von je vier Soldaten, von Ketten, mit denen Petrus gefesselt wird, von Wächtern vor der Tür. Minutiös wird geschildert, wie die Befreiung geschieht – und es sind Metaphern dafür, wie wir auch heute ohne Gewalt selbst der schlimmsten Gewalt begegnen können.

Da ist erstens die mythologische Gestalt eines Engels im Spiel. Fast liebevoll weckt er den schlafenden Petrus in seinem Gefängnis auf. Immer wieder können wir selbst in unserem Leben solche Stupser spüren: in der Zusage von Menschen, die uns in Traurigkeit oder Verzweiflung mit ermunternden Worten begegnen. Sie sagen uns jene Worte, die damals dem Petrus galten: „Steh schnell auf!“ In solchen befreienden Begegnungen fallen uns – immer bildlich gesehen – die Fesseln ab. Der zweite Schritt freilich muss selbst gemacht werden. Petrus muss selbst Mut zum Aufbruch finden, sich gürten und die Sandalen unterbinden. Im Zusammenspiel von einem Engel und mit eigenem Zutun werden sich dann schwere eiserne Türen öffnen und die Wächter ihre Funktion verlieren. All dies, so hören und lesen wir in der Apostelgeschichte, geschieht ganz ohne Gewalt. Wir lesen nichts von einem Tyrannenmord, nichts von Wachen, die angegriffen werden oder von einem Superhelden Petrus, der seine Peiniger niederstrecken würde, von keinem Racheengel, der in Georgsmanier einen Drachen erledigt. Die Befreiung des Petrus geschieht, weil die Gemeinde betet, weil ein Engel hilft und weil Petrus selbst Befreiungsschritte setzt.

Klaus Heidegger, Hochfest Peter und Paul

(Bild: Prozession anlässliches Patroziniums in Silz am 29.6.2024)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.