Wo freie Kunst zur Befreiung des ganz Menschlich-Leiblichen führen könnte

Die geköpfte Marienstatue im Linzer Mariendom

Im Kunstraum des Linzer Mariendoms wurde im Rahmen der Reihe „Künstlerische Positionen zur Heiligen Familie“ das Kunstwerk „Crowning“ ausgestellt. Die Idee stammt von der Tiroler Künstlerin Esther Strauß und wurde von der Mühlviertlerin Theresa Limberger umgesetzt. Maria wird in der geschnitzten Holzfigur als Gebärende dargestellt. Auf einem Stein sitzend hat sie ihre nackten Beine gespreizt und in ihrer Vulva wird bereits der Schädeldeckel des Jesuskindes dargestellt. Sie scheint wie eine Krone oder wie ein Heiligenschein den Kopf des Kindes zu umschließen. Es ist der Moment, der im Englischen mit dem vieldeutigen Begriff „Crowning“ bezeichnet wird, jener Augenblick, in dem der Kopf des Kindes durchbricht. Das ist der Krönungsmoment der Natur. Weit geöffnet sind die blauen Augen von Maria, die himmelwärts blickt. Auf ihrem Kopf ist ein goldener Kranz – Heiligenschein und Krone zugleich. Um sie herum liegen die Kleider in den ikonographisch typischen rot-weiß-blauen Farben der Maria.

Ein paar Tage nachdem die Skulptur in der Kunstkapelle im Mariendom ausgestellt worden war, wurde ihr von einem unbekannten Täter der Kopf abgesägt (1.7.2024). Eine „Kriegserklärung an das Weibliche“ urteilte darüber „rau“ in seiner Glosse im STANDARD (8.7.2024) und weiter „es ist nackte ungeschönte Gewalt. Diese Gewalt ist nun ebenso ungefiltert dem Auge des Betrachters ausgesetzt worden wie die Geburt selbst.“

Solch deutliche Worte hätte ich mir wohl auch von Seiten der Kirchenleitung erwartet. Haben sie den Kairos verpasst, deutlich zu sagen, auf welcher Seite sie hier stehen, nämlich auf der Seite jener, die in einer Geburt nichts Schmutziges, nichts Anstößiges, nichts Beänstigendes sehen, sondern einen auch in religiöser Hinsicht wohl bedeutsamsten heiligen Akt, dem Beginn neuen Lebens, der mit weiblicher Kraft zu tun hat und dass, wie Hans Rauscher zurecht schreibt, solches Geschehen gerade im Raum der Kirche seinen Platz haben darf und muss?

Von der Freiheit auch religiöser Kunst im kirchlichen Raum

Das Kunstwerk empört vor allem die katholisch fundamentalistische Seite. Die Kirchenleitung der Diözese Linz wird von diesen Kritikern massiv angegriffen. Das ultrakonservative Internetforum kath.net nimmt es zum Anlass, um katholische Fundi-Ideologie zu verbreiten. In einem auf kath-net veröffentlichten Videoblog wird der Täter als „mutiger Mensch“ bezeichnet, der „Respekt verdient“, weil er dem ganzen Treiben ein Ende setzte. Respekt für die Enthauptung einer Marienstatue? Jene mit einer weltabgewandten und damit auch meist sexualfeindlichen, frauenfeindlichen und jenseitsorientierten Ideologie rufen zum Widerstand auf, rechtfertigen die Tat, die allein schon durch die Symbolik der Enthauptung höchst diskriminierend ist. Für die ultrakonservativen Fundis ist die Crowning-Statue ein Ausdruck „feministischer Ideologie“ – so der ehemalige Präfekt der Glaubenskongregation. Auf kath-net finden wir auch unzensuriert Stellungnahmen wir folgende: „Gott segne den, der dieses Machwerk zerstört hat und sein Zorn komme auf jene herab, die derlei herstellen, aufstellen und dulden. Letztlich ist dieses abartige Bildnis ein Ausweis dafür, wie abartig jene sind, die es im Dom aufstellen, und wie weit sie sich vom Glauben entfernt haben. Den Ortsbischof und das Domkapitel schließe ich da ausdrücklich mit ein. Wer die Bibel kennt, weiß, dass derlei zu den ganz schlimmen Sünden zählt und dass sie Gott mir harter Hand straft. Linz wird das zu spüren bekommen. Die Linzer Gläubigen bitte ich, den Dom nicht mehr zu betreten. Er ist entweiht, solang nicht ein Bußritus vollzogen wird und die Schuldigen Gott um Vergebung bitten. Geben Sie nicht nach und betreten Sie dieses Gotteshaus nicht mehr – es ist kein heiliger Ort mehr.“ Auch in weiteren Kommentaren wird der Kopfabschneider als „Held“ gewertet.

Wer in die argumentativen Abgründe der Gegner der Marienstatue geht, entdeckt dann sofort auch ein Argument, das sich durchzieht: Maria wird auch in einem biologischen Sinne als Jungfrau gesehen – und sie soll selbst bei der Geburt Jungfrau geblieben sein. Weil Maria von der Erbsünde befreit gewesen sei, hätte sie auch nicht „unter Schmerzen“ geboren, so eine Interpretation von Seiten der Petrusbruderschaft.

Ikonographie des Weiblich-Leiblichen

Mirjam ben Jeschua, Mariam ibn Ischa, Maria von Nazareth – sie ist durch und durch Frau. Nicht die weltabgehobene unbefleckt Empfangene, sondern die irdische-weibliche Person. Die Crowning-Statue drückt für mich mehr aus, wie Maria ist, als eine der Abermillionen weiß-blass-bläulichen Fatimafiguren, wo Maria züchtig gekleidet, mit zum Himmel gefalteten Händen, schiefem Kopf und verklärten Augen dargestellt und verehrt wird. Die geköpfte Marienstatue drückt vor allem auch aus, was die zentralste Erfahrung des christlichen Glaubens ist: dass Göttliches Mensch wird, dass besonders in Jesus von Nazareth durch die Geburt von einer Frau Gott Menschengestalt angenommen hat. Die Künstlerin verdeutlicht, was bei jedem Sonntagsgottesdienst im Glaubensbekenntnis gesprochen wird: „Geboren von der Jungfrau Maria …“ Die evangelische Theologin Maria Katharina Moser schreibt dazu: „Zum Be- und Ergreifen des Menschlichen gehört die Geburt. Menschen fallen nicht vom Himmel oder sprießen wie Pilze aus dem Boden. Menschen werden geboren. Von einer Frau.“

Ja zur Crowning-Skulptur im Linzer Mariendom

Aus theologischer Sicht brauchen wir gerade im Kontext der Kirche – und nicht in Galerien und säkulare Kunsträume verdrängt – Werke wie jenes von Esther Strauß. Erstens weil es die Wirklichkeit der Inkarnation, das heißt der Menschwerdung, in aller Radikalität zur Darstellung bringt. Zweitens weil wir den Kontrapunkt brauchen zu den kitschigen Marienfiguren, in denen jede Weiblichkeit und Körperlichkeit und vor allem jede Sexualität verdrängt wird. Drittens schließlich, weil die Geschichte der Kirche bis zum heutigen Tag auch eine Verdrängung des Weiblichen kennt.

Die Kunst muss nicht allen gefallen und man kann sich politisch klug gegen dieses Kunstwerk stellen mit dem Hinweis auf mangelnde künstlerische Qualität. Dann müsste man auf der Basis einer solchen Argumentation viele Kirchen von fast unerträglichem Herz-Schmerz-Kitsch befreien. Wichtiger scheint mir hingegen, auf die theologische und damit immer auch befreiungstheologische und feministische Relevanz des Kunstwerkes einzugehen und die dahinterliegende Botschaft wahrzunehmen. Ich greife zwei Zitate heraus, dir mir in diesem Kontext wichtig sind: Die Künstlerin Esther Strauß sagte zur Enthauptung, dass es zeige, „dass es immer noch Menschen gibt, die das Recht von Frauen an ihrem eigenen Körper in Frage stellen.“ In einem Standard-Interview zieht sie die Parallelen zwischen Femiziden und der symbolisch aussagekräftigen Enthauptung als Ausdruck einer „patriarchalen Gewaltbereitschaft“. Ähnlich sieht es Maria Katharina Moser: „Wenn die Statue im Mariendom durch rohe Gewalt zerstört wird, wird auch die Würde des gebärenden Frauenkörpers verletzt.“

Meinen Beitrag möchte ich mit einer Aussage der Linzer Theologin Maria Resch schließen, die auf den Punkt bringt, was ich selbst beim Anblick empfinde: „Die Skulptur von Esther Strauß ist eine sehr poetische Arbeit, die die natürliche Geburt Jesu zeigt. Maria wird in ihrer Ausgesetztheit aber auch in ihrer Kraft gezeigt.“

Klaus Heidegger, 4.7.2024 (aktualisiert und korrigiert am 8.7.2024)

Kommentare

  1. Auch wenn man die Darstellung Mariens in dieser Form nicht ablehnt, kann man verstehen dass sich manche Menschen davon provoziert fühlen. Jedenfalls handelt es sich hier um eine Auseinandersetzung professioneller Theologen und nicht um die Sorgen der Mehrzahl der Christen.

    1. Lieber Johann, ich nehme wahr, dass es bei den Sorgen der Mehrzahl der Christinnen und Christen genau um jene irdisch-menschlichen Fragen geht, die sinnbildlich mit „Crowning“ zu tun haben … vielleicht treffe ich mich da ja mit dir. glg, klaus

  2. Die zitierten Reaktionen der Fundis machen m. E. den hohen pathologischen Grad eines solchen Glaubens offenbar, von dem aber nicht so wenige – auch „Würdenträger“ u „Gläubige“ – nicht so weit entfernt sind.

  3. Ich bin Techniker und Atheist. Mein tun basiert also eher auf auf Daten. Doch auch ich habe Gefühle und Instinkt. Diese sagen mir es ist falsch jemanden ohne seine Einwilligung so darzustellen. Kein Mensch oder Tier, weder Maria noch Jesus haben das verdient. Was mich auch öfter stutzig macht ist der Umstand, dass man schon ein großes Maß an Bildung braucht um solche Kunst zu verstehen. Hier steht Bildung gegen Empfinden. Wobei ich das was gelehrt wird immer kritischer sehe. Ich glaube z.B. nicht, dass Wirtschaftswissenschaften denen die Sie finanzieren Wohlstand bringen.

  4. Lieber Klaus!
    Dein Text ist besser als die diversen dazu im heutigen Standard, weil er allgemeiner auf die Sexual-, Körper- (und nicht nur Frauen-)Feindlichkeit fundamentalistischer Kreise abzielt.
    Diese Kreise zeichnen sich durch eine extreme Sexual-Feindseligkeit aus, die im Patriarchat natürlich Frauen mehr trifft, aber im Grunde alles Lustvoll-Körperliche dem Teufel zuschreibt. Wie wir wissen, entspringen die massenhaften Missbrauchsskandale gerade derartigen anthropologisch weltfremden Haltungen, in denen sich die verquerte (perverse) unterdrückte Sexualität irgendwann Bahn bricht.
    Kath.net ist nur eine Spitze des Eisbergs, ähnliche körperfeindliche und zensurlüsterne Züge gehen auch von den angeblichen Sexualpädagogik-ExpertInnen der (angeblichen) Hochschule Bendikt XVI im Stift Heiligenkreuz aus oder von charismatischen Festival-Anstiftern in Pöllau oder jetzt in Kremsünster, bei denen Sex etwas Gefährliches ist und selbstredend nur in der Ehe eine Berechtigung hat. Die Jugendpastoral lässt grüßen!
    Und das Allerschlimmste: diese Gruppierungen, die teilweise (nicht alle) auch nachweisliche Kontakte und Parallelen zu extrem rechten Gesinnungskreisen haben, werden von manchen Kirchenoberen auch noch hofiert, weil ihnen – insbesondere bei Jugendlichen – die Gläubigen abhanden zu gehen drohen bzw. schon abhanden gekommen sind, die dem ganzen lebensfeindlichen und doppelmoralischen Pathos nicht mehr auf den Leim gehen. Die Kirche bugsiert sich damit selbst immer mehr ins Abseits.
    Kein Zufall auch, dass die umstrittene Plastik in Linz aufgestellt wurde, wo mit Bischof Scheuer noch ein offener und liberaler Bischof amtiert.

  5. Hallo, die drei angegebenen Argumente für das Ausstellen einer solchen Figur in einer Kirche überzeugen mich nicht.

    1. Es zeige die Wirklichkeit und Radikalität der Inkarnation. Das stimmt, ja, aber warum brauchen wir das in einer Kirche? Jede Mutter kennt die „Radikalität der Inkarnation“ aus eigener Erfahrung, und die meisten anderen Menschen können sich das sehr gut vorstellen, wie wirklich und radikal ein Geburtsprozess ist. Wofür soll dann die Darstellung in Form einer Skulptur gut sein? Und gar in der Kirche, und gar die Mutter Gottes? Ich kann darin keinerlei positiven Nutzen erkennen, sondern nur eine extreme Beleidigung der Gläubigen.

    Und Sexualität wird in der Kirche eben nicht verdrängt, sondern Sexualität war und ist immer ein großes Thema in der Kirche, und wird es wohl immer bleiben, solange Menschen in einer Welt leben, in der das Böse eine gewisse Macht hat. Das heisst nicht, dass Sexualität böse ist, sondern dass der richtige Umgang mit Sexualität eine Herausforderung ist, der man sich stellen muß. Das lehrt die Kirche, und das ist keine Verdrängung, sondern aktive Auseinandersetzung mit dem Thema Sexualität.

    3. Die Verdrängung des weiblichen in der Kirche. Wo bitte? Nur weil Frauen nicht Priester werden können? Das weibliche wird nicht verdrängt, sondern es gibt eine göttliche, natürliche Ordnung, in der alles seinen Platz hat. Etwas zu verdrängen hieße, etwas von seinem Platz zu drängen, und das geschieht nicht. Es geht um Glauben, und das heisst, auf die Gerechtigkeit der göttlichen Ordnung zu vertrauen und diese Ordnung anzunehmen, nicht sie umwerfen zu wollen, weil es dem eigenen Ego nicht passt. Es hat niemand behauptet, dass das einfach ist, katholisch sein ist mitunter unbequem, es schmeichelt nicht den niederen Gelüsten. Und bevor man die katholische Religion angreift, sollte man sehr gründlich seine eigenen Motivationen hinterfragen, meist steckt ein persönlich gekränktes Ego dahinter.

    2. Wir bräuchten einen Kontrapunkt zu den kitschigen Marienfiguren. Warum? Und wer sagt, dass die tradtitonellen Marienfiguren kitschig sind? Sie drücken etwas bestimmtes aus, was in dem Kontext sinnvoll ist. Wer damit ein Problem hat, sollte sich fragen, warum er damit ein Problem hat. Warum möchte jemand keine reine, gottesfürchtige, betende und edle Jungfrau sehen? Warum möchte jemand nicht daran erinnert werden, dass das das Ideal des Glaubens ist?
    Die traditionellen Marienfiguren zeigen die Weiblichkeit, einerseits als Ideal, andererseits als göttlichen Zufluchtsort. In der Religion geht es um das Heilige, nicht um das Profane. Sexualität ist überall gegenwärtig, wir leben einer übersexualisierten Welt, wir brauchen nicht mehr davon, sondern weniger. Die Skulptur ist Pornografie und wäre sogar in einer weltlichen Ausstellung problematisch. Auf Youtube werden weitaus harmlosere Darstellungen zensiert oder nicht zugelassen, aber in einer Kirche soll so etwas ausgestellt werden? Was steckt anderes dahinter als hasserfüllte Provokation?

  6. Ich bin zwar nicht katholisch, aber das gehört sich ganz einfach nicht. In öffentlichen Medien darf die Figur nicht von vorne gezeigt werden, mit plakativ zu sehender Vulva, da das Foto als pornografisch eingestuft würde. Ich frage mich, wen der Bischof mit dieser Figur ansprechen möchte?

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