Platz für hochalpine Naturschönheiten im Platzertal

„I bin a dageg“ meint die freundliche Almwirtin auf der Platzeralm (2132 m), während wir an diesem Samstagnachmittag Schälfeler mit Käse essen und Buttermilch dazu trinken. Hier oben können alle meine Sinne auf Empfang stehen: den Klang der Kuhglocken und das Rauschen des Baches hören, den Duft von Kuhfladen und Almrosen riechen und die Hänge der Bergketten, die bis zu den Gratkanten wie mit einem grünen Teppich zugedeckt sind, sehen. Wir sind die einzigen Gäste an diesem Nachmittag; vielleicht auch deswegen, weil ein Gewitter kommen könnte – zumindest war davon in den Wetterberichten die Rede. So sind wir zuvor auch nur ein wenig die Almflächen hinein gegangen, dorthin, wo die TIWAG einen 120 Meter hohen Schüttdamm errichten möchte. Die tonnenschweren Baumaschinen würden sich durch den Berg vom Kaunertal her fressen, würden zwei Tunnel graben, einen für die Bagger und Lkws und einen dann für den Wasserstollen, mit dem das Wasser zwischen dem Pumpspeichersee im Platzertal und dem Kaunertalspeicher hin und her gepumpt werden würde. Würde. Ich schreibe im Konjunktiv 2, in der Möglichkeitsform. Für die TIWAG ist es die Wunschform.

„I bin dageg“, weil der Platzerbach bis auf ein Restrinnsal verschwinden würde, so die Almwirtin. Beim Hineinradeln von der Pfundser Tschey zeigte der Bach seine Kraft und Wildheit, mit der er sich die Steilstufen nach Tösens hinabstürzt. „Die Bauern in Tösens brauchen das Wasser zur Bewässerung ihrer Felder. Sie würden es verlieren, würde der Stausee gebaut.“ So eines der Argumente der Almwirtin.

Wir sind von Pfunds über den Weiler Greit zur Platzeralm geradelt; an diesem Tag die einzigen ohne E-Motor. Die Strecke bietet alles, was der Seele schmeichelt. Kulturlandschaft mit steilen Bergwiesen und Höfen, die wie Adlerhorste über dem Radurschltal picken, einzigartige Wiesenflächen mit Millionen Blumen, ein steiler Almweg und dann rotblühende Alpenrosen. Kurz vor der Alm sind die zerfallenen Bergwerksgebäude aus dem 16. Jahrhundert.

„Die Alp müsste wohl aufgegeben werden …“, meint die Wirtin. Jetzt grast Galtvieh zwischen den Alpenrosen, die zwar schön zum Ansehen sind, aber als Wildwuchs mehr und mehr das Weideland verdrängen.

Steht der gigantische Aufwand an Baukosten und an unwiderruflicher Zerstörung höchst wertvoller Naturzonen in Relation zur Energiegewinnung? Um Pumpspeicheranlagen in Betrieb zu halten, mit denen dann Wasser in einen anderen Speicher gepumpt wird, damit Spitzenstrom daraus gewonnen wird, braucht es dann Grundlagenstrom, der aus AKW- und Kohlekraftwerksanlagen kommt. Die TIWAG spricht von „sauberer Energie“ und verschweigt die ökologischen Folgekosten. Schon jetzt werden großräumig viele Bäche aus dem Pitztal und dem Raduschltal in den Gepatschspeicher abgeleitet. Um genügend Wasser für die beiden Speicher zu haben, sind Ableitungen aus dem Ötztal aber vonnöten. Das heißt: Ein neuer Stausee im Platzertal macht nur Sinn im Kontext des Wassers aus der Gurgler und Venterache. Das niederschlagsarme Ötztal wiederum braucht dringend das Wasser selbst.

In vielen Diskussionen wurde mir gesagt, dass ich doch als Klimaaktivist nicht gegen die Gewinnung von erneuerbarer Energie sein dürfte. Wasserkraft sei ein wesentlicher Pfeiler im Kampf gegen den Klimawandel und würde dazu beitragen, die gesteckten Klimaziele zu erreichen. Das Gegenteil dürfte jedoch zutreffen. Über Jahre hinaus würden die Baumaschinen enorme Mengen an CO-2 emittieren. Auch die Behauptung, Tirol sei unbedingt auf den Ausbau der Wasserkraft angewiesen, stimmt nicht. Tirol erzeugt jetzt schon wesentlich mehr Strom, als es selbst verwenden kann.

Wenn ich in den letzten Jahren oft von den Plänen des Ausbaus des Kaunertaler Kraftwerks hörte, wurden Kindheitserinnerungen wach. Meine früheste Kindheit fällt in die Zeit, als der Stausee im Gepatsch gebaut wurde und das dazugehörende Kraftwerk in meinem damaligen Heimatort Prutz. Zu meinen frühesten Erinnerungen zählen die riesigen Bagger, die sich vorbei an unserem Haus ins Kaunertal bewegten. Ich empfand sie damals schon als sehr bedrohlich.

Heute stehe ich gedankenversunken im Paralleltal zum Kaunertal da, wo die Staumauer in der Höhe des Wiener Stephansdomes errichtet werden sollte. Sanft mäandriert hier der Bach durch das Biotop. Naturschutzorganisationen zeigen auf, dass im Platzertal der größte und fast unberührte hochalpine Moor- und Feuchtgebiets-Komplex Österreichs – seine Fläche erstreckt sich über mehr als 20 Hektar – liegt. Am Ende des Hochtales ragen die Dreitausender des Glockturmkammes hervor. Noch sind sie mit Altschneefeldern durchzogen. „I bin dageg …“ Moorgebiete wiederum sind die besten CO-2-Speicher, die so notwendig sind im Kampf gegen den Klimawandel.

Die Flutung des Platzertales kann verhindert werden, denke ich mir, und bin dankbar jenen Initiativen und Organisationen wie WWF, Alpenverein und Gobal 2000, die sich einer brutal agierenden Energiewirtschaft entgegenstellen. Die geplanten Zuleitungen zum Gepatschspeicher aus der Gurgler- und Venterache sind bereits gestoppt worden. Eine Ableitung von Gewässern würde das gesamte Ökosystem verändern.

Ein Gewitter ist nicht gekommen. Nur ein wenig tröpfelt es auf der steilen Abfahrt hinunter. Manche der Blumen haben ihre Köpfe geschlossen und Bienen sind in ihre Häuser verschwunden. Wo die Alternativen liegen würden, sehe ich dann wieder unten im Tal. Horden von Motorradfahrern brausen und lärmen auf der Reschenbundesstraße. Kolonnenverkehr. Massen von Menschen verbrennen kostbare Ressourcen und befeuern den Klimawandel. Hier ist der erste Ansatzpunkt: beim Einsparen von Primärenergie. Eine naturverträgliche Energiewende läge wohl darin, beim eigenen Energieverbrauch anzusetzen – das ist vor allem im Mobilitätsverhalten. Jetzt in der Hauptreisezeit ist hier ein unmittelbarer Ansatzpunkt, der sofort wirksam sein könnte.

Der zweite Ansatzpunkt sind Alternativen zur nachhaltigen Stromproduktion. Es gibt Photovoltaik und Windkraft und Wissenschaftler haben auch nachhaltige Wege zur Speicherung aufgezeigt. Was es braucht ist ein Mix an verschiedenen Methoden der Energieproduktion. Tirol hat derzeit bereits 95 Prozent der erneuerbaren Energiegewinnung aus Wasserkraft. Die Zahl der Photovoltaikanlagen auf den Hausdächern im Inntal ist noch mickrig.

Ich verliere mich beim Hinausradeln aus dem Platzertal in Gedanken aus meiner Biographie: an meine Aktivitäten vor nun schon mehr als 40 Jahren. Damals unterstützte ich als KJ-Verantwortlicher die Initiativen gegen den Bau eines Kraftwerks im Dorfertal in Osttirol. Heute ist das Gebiet Nationalpark und alle sind stolz darauf und schöpfen daraus Wertschöpfung. Der Widerstand gegen die Kraftwerkspläne hatte – genauso wie in Hainburg, wo ich auch an der Aubesetzung mit dabei sein konnte – Erfolg. Solches Zurückdenken ermutigt für die Zukunft.

Klaus Heidegger, 9. Juli 2024

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