Krimmler Achental, Warnsdorfer Hütte und Großer Geiger (3360 m): Mit dem AV-Hall auf Hochtour in der Venedigergruppe

Krimmler Achental

Mächtig stürzt sich die Krimmler Ache hinunter nach Krimml. Tosendes Wasser über den Steilstufen. Eine weiße Gischt. Touristenattraktion und Hotspot für Insta-Fotos. 380 Meter Fallhöhe sind es. Der Ruf des größten Wasserfalls Europas und des 5. höchsten der Welt lockt die Massen. Entsprechend geht es entlang der Gerloser Straße und in Krimml zu. Ich bin froh, mich von diesem Treiben zu lösen, hinein in die Natur zu kommen, lasse die mich quälenden Gedanken vom Kolonnenverkehr im Zillertal hinter mir und öffne mich dem Schönen. Im Normalfall bewege ich mich meist in meinem eigenen heimischen Terrain des Inntales. Die Bergwelt der Hohentauern ist mir kaum vertraut. Mit dem Alpenverein bzw. seiner kreativen Köpfe lerne ich aber immer wieder neue Ecken der Bergwelt kennen.

Mit dem Mountainbike radle ich vorbei an dem tosenden Wasser. Zunächst ist es ein dicker Fichtenwald mit Moos und Farnen, die in der feuchten Luft gut gedeihen können. Nach den Steilstufen und einem 300 Meter langen unbeleuchteten Tunnel – ich hätte wohl besser meine Taschenlampe auspacken sollen, um nicht links oder rechts an der felsigen Tunnelwand anzustoßen – beginnt das Krimmler Achental flach zu werden. Schier endlos geht es nun entlang der mächtigen Ache in das von frühen Gletschern geformte U-Tal hinein. Im flachen Tal wirkt der Wildbach ganz zahm. Wasser ist wohl wie manches Leben: einmal kräftig und dann wieder sanft. Satte Almflächen. Viele Kühe wirken müde vom vielen Fressen. Während ich radelnd an alten Almhütten vorbeifahre, manche von ihnen fast etwas almenkitschig aufpoliert, fühle ich mich eingebunden in Natur und Geschichte. Es ist das längste und höchstgelegene Tal der Venedigergruppe und diente in früheren Jahrhunderten als Durchgang über den Krimmler Tauern in den Süden. Dem nützte auch das stattliche Tauernhaus. Ich lasse es rechts liegen. Dort stärken sich noch die E-Bikefahrenden meiner Gruppe. Etwas weiter oberhalb studiere ich statt der Speisekarte die Gedenktafel des Friedenswegs. Von der bedeutsamen Begebenheit aus dem Jahr 1947 hatte ich bereits einmal gehört. Einige Tausend Juden und Jüdinnen hatten nach Kriegsende nur den beschwerlichen Weg auf dem alten Säumerweg über den Krimmler Tauern als Ausweg, um auf ihrer Reise aus dem Osten Europas in ihr neues Heimatland nach Israel zu kommen. Weil es eine engagierte Wirtin im Tauernhaus gab und einen mutigen Bergführer, konnten die jüdischen Flüchtlinge dem Lager in Saalfeld entkommen und nach Italien gelangen, von wo aus eine Weiterfahrt nach Palästina möglich war.

Warnsdorfer Hütte (2336 m)

Das Bike hänge ich nach 20 Kilometern an den Zaun bei der Materialseilbahn. Hier ist die letzte der vielen Almen. Nur mehr gut eine Stunde dauert von dort der Aufstieg zur Warnsdorfer Hütte. Mächtig thront die Felswand der Dreiherrenspitze im Norden. Rund 20 Minuten oberhalb der Hütte ist der Eissee. Eine willkommene Abkühlung, kurz darin schwimmen, mich als Teil der Natur fühlen. Der See wird gespeist vom Wasser, das sich über die gletscherpolierten Felsen hinunterstürzt. Der Name „Eissee“ passt auch zur Wassertemperatur. Die Wirtsleute sind ein junges, bergverliebtes und kreatives Team und verwöhnen uns mit einem Superabendessen – auch vegetarisch! – und gesellen sich ein wenig zu unserer Runde. In der Gaststube hängt ein Bild aus dem vorigen Jahrhundert. Es zeigt die Hütte, die damals noch weit über mächtigen Gletscherbrüchen thronte. Heute sind die Gletscher weit hinaufgezogen – wie ein Rückzug aus einer lebensbedrohlichen Zivilisation.

Großer Geiger als Höhepunkt

4:00 Uhr ist Wecktermin. Die sehr freundlichen Hüttenwirtsleute hatten das Frühstück bereits am Vorabend für uns im Seminarraum vorbereitet. Unser noch weit entferntes Ziel, der Große Geiger, ist eine pyramidenförmige Felsgestalt, die von allen Seiten von mehreren Gletschern umgeben ist. An diesem Tag sind es nur zwei weitere Seilschaften, die diesen Gipfel besuchen. Besuch wird er ja nicht oft bekommen. Der Normalanstieg ist mehr als 5 Kilometer und führt meist entlang von Gletscherflanken zum Gipfelaufbau, der dann schneefrei ist. Meine Steigeisen werden heute mehrmals locker, bis sie sich schließlich völlig lösen. Dankbar bin ich dann für einen Steigeisentausch. Das andere Paar passt besser zum Profil meiner Sohle. Der Schlussanstieg geht über den Westgrat steil über Felsen und loses Geröll auf den Gipfel mit dem schönen Kreuz. Blickfang ist der Großvenediger als Nachbargipfel mit seiner imponierenden Schnee-Eis-Südgratkante und weit dahinter schaut der Großglockner hervor. Im Norden ist das Sulzbachtal mit der Kürsingerhütte. Vier Stunden sind in einer Beschreibung von der Hütte bis zum Gipfel angeführt. Obwohl wir zügig unterwegs waren, waren es für uns für die 1400 Meter Anstieg und die 5 Kilometer Strecke doch 5 Stunden.

Wieder heißt es nun die steilen Gletscherflanken zu queren. Zum Glück halten jetzt die getauschten Steigeisen und ist der aufgeweichte Firnschnee sicher zum Stapfen. Vor allem aber schenkt die Seilschaft Zuversicht. Ich konzentriere mich angesichts der möglichen Tiefblicke nicht ganz entspannt auf jeden einzelnen Schritt vor mir. Entlang vom Maurerkees wieder hinauf zum Maurer Törl – mit kurzer Geröllkletterei und dann schon viel entspannter hinunter über den Krimmlertörlkees zur Scharte zwischen dem Sulzbachtal und dem Krimmler Achental.

Gamsspitzl (2888 m)

Beim Rückweg mache ich auch noch den Abstecher auf das Gamsspitzl. Der kleine Umweg zum Hausgipfel der Warnsdorfer Hütte lohnt. Ich nehme mir nochmals Zeit für die Blicke auf die Gletscherwelt, über denen die schwarze Pyramide des Großen Geiger herausragt. Den Gipfel hätte ich ohne die professionelle Begleitung des Tourenführers und der Tourenführerin des Haller Alpenvereins wohl nicht erreicht. Die Erfahrung von Teamarbeit, vom Zusammenspiel zwischen Fremdermutigung und eigenem Willen, von unzähligen kleinen Schritten und vor allem einem Einfühlen in die Bergwelt – all dies ermöglicht auch, eigene Grenzen neu zu setzen. So ist die Bergwelt wieder ein Spiegelbild für das, wie Leben mit all seinen Herausforderungen gelingen kann.

Unwetter auf dem Rückweg

Hätte sich das Wetter nicht von seiner besten Seite gezeigt, wäre die Tour auf den Großen Geiger wohl nicht so problemlos gewesen. Wir hatten Wetterglück. Frühmorgens war der Himmel noch wolkenlos. Zurück in Oberkrimml dann der erste Regentropfen, schließlich starker Hagel, Blitz und Donner. Der frühe morgendliche Aufbruch erwies sich als richtig. Unrichtig ist aber wohl die Art und Weise, wie ein unverantwortlicher Lebensstil zu den klimatischen Veränderungen führt, die jedes Jahr zu noch mehr und größeren Unwetterkatastrophen führen.

Klaus Heidegger

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