Anti-kolonialistische Weltsichten im Weltmuseum der Hofburg in Wien

Die Touristenscharen rund um Heldenplatz und Hofburg zieht es an diesem letzten Novemberwochenende mehr in das Sisi-Museum als in das Weltmuseum. Letzteres kann politisch interessierte Menschen ermutigen, über die Klischees hinauszublicken und tiefere Zusammenhänge im Weltgeschehen zu verstehen. Wer durch die Schauräume des ethnographischen Museums geht, wird zum Nachdenken herausgefordert, ein Nachdenken über sich selbst und die umgebende Welt, über das politische Geschehen, in das wir alle miteinander vernetzt sind, über die Rolle der Religionen und politischer Bewegungen. So streife auch ich an diesem Sonntagvormittag durch die 14 Schauräume, die alle einem bestimmten Thema gewidmet sind.

Ein Raum zeigt ein Dorf in den Bergen und man erkennt, vermittelt auch durch ein kurzes Video von Hans Haid aus dem Ötztal, wie das Dorfleben in einem buddhistisch-nepalesischen Bergdorf im Himalaya analoge Beziehungsstrukturen auch für österreichisches Bergleben aufzeigt. Der Fokus der dargestellten Objekte wird auf die Zusammenhänge zwischen religiösen Vorstellungen und profanem Tun gelegt.

Ein anderer Raum dokumentiert mit wissenschaftlichem Anspruch, wie sich in Wien die Missionare des Steyler-Ordens, allen voran Pater Wilhelm Schmidt, zu Beginn des 20. Jahrhunderts bemühten, aus der Begegnung mit den Völkern der Länder des Südens eine „Völkerkunde“ aufzubauen. In einer Vitrine stehen die vielen Bände von Schmidt, seine „Universalgeschichte der Menschheit“.

In einigen Räumen sind Kunstschätze aus afrikanischen, lateinamerikanischen, ozeanischen oder asiatischen Ländern zu finden. Sie werden durchaus mit einem kritischen Blick auf die Kolonialgeschichte ausgestellt. Die imperialen Machtansprüche der Habsburger manifestierten sich in Sammelleidenschaften exotischer Kunstgegenstände. Franz Ferdinand soll selbst von sich gesagt haben: „Ich leide an Museomanie“. Mit kolonialkritischem Blick nehme ich so die Raubgüter wahr, die heute aber auch erzählen können von der Schönheit anderer Kulturen und die zugleich für die Wissenschaft über die Völker von enormem Wert sind.

Bei manchen explizit religiösen Objekten verweile ich länger. Aus Lateinamerika beispielsweise stammt sowohl eine bekannte Darstellung der Heiligen Maria mit Jesuskind, zugleich wird ihr eine Figur der afrikanischen Orixas gegenübergestellt, die von den Sklaven auch als Widerstandsgeste verehrt wurden. In meinen religionswissenschaftlichen Beschäftigungen lernte ich die Bedeutung von Inkulturation zu schätzen, wo nicht das Gegeneinander der Religionen zählt, sondern ein Erkennen des großen Gemeinsamen, das zugleich die je spezifischen religiösen Artikulationen stärkt und leben lässt.

Ein Schauraum zum Themenbereich „Migration“ böte sich an, um all die Menschen zum Nachdenken zu bewegen, die an diesem Tag wieder eine Partei und Politiker wählen – in der Steiermark wie in Rumänen, die Remigration verbunden mit nationalistischem Getöse verkünden. Auf einer Tafel im Schauraum ist zu lesen: „Wir leben in einer Welt in Bewegung. Migration ist heute ein natürlicher und ein guter Prozess. Man sollte sie als etwas verstehen, das die Welt bereichert, und nicht unbedingt als Bedrohung sehen.“ Neben der Tafel ist das Kunstwerk „Lifesaver“. In einer Vitrine ist ein vergoldeter Rettungsring aus Beton. Damit greift die Künstlerin gleich mehrere Bezüge auf: Heute sind es die Flüchtlinge, die im Mittelmeer ertrinken. In den 1930er-Jahren wurde von italienischen Faschisten die Ausbeutung Äthiopiens finanziert.

Ich sitze wenig später nach dem Besuch des Weltmuseums in der U-Bahn und nehme dankbar wahr, wie kulturell vielfältig dieses Wien geworden ist. Es ist ein Gemurmel von Wiener Dialekt vermischt mit osteuropäischen Sprachen, mit Arabisch oder Türkisch – und ich lege meinen Tiroler Dialekt dazu. Schön, dass diese Welt so bunt ist. In den Nachrichten ist allerdings vom „Erdrutschsieg der FPÖ“ zu hören und ein Rechtsextremist gewinnt in Rumänien die Parlamentswahlen. Die wissenschaftlich fundierte Ausstellung im Weltmuseum mit ihren rassismuskritischen Ansprüchen ist wie eine Parallelwelt der Minderheiten.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.