Geschätztes SchülerInnenparlament Tirols! Liebe Schülerinnen- und Schülervertretung der JUNOS und der Schülerunion! Liebe Gina Plattner und lieber Bastian Fettinger!
Eine alte aufgewärmte Forderung
Danke zunächst, dass Ihr Euch im Sinne der demokratischen Mitbestimmung an den Schulen ehrenamtlich engagiert. Auf die Forderung des Tiroler SchülerInnenparlaments vom 22. Feber 2023 wollte ich zunächst gar nicht eingehen, weil mich sowohl der Inhalt dieser Forderung mehr noch aber die aggressiven Formulierungen irritiert haben. Außerdem ist es in den vergangenen Jahren immer wieder vorgekommen, dass das Thema „Kreuz in den Klassen“ als populistisches Profilierungsthema aufgebracht wurde und eine entsprechende Diskussion schnell verschwunden ist. Ich denke beispielsweise an den Vorstoß der damaligen Bildungsministerin Sonja Hammerschmid aus dem Jahr 2016 – da ist die gegenwärtige Schülervertretung ja noch in der Volksschule gewesen. Allerdings hat sich die damalige Landesschülervertretung gegen die Bildungsministerin gestellt und explizit für Kreuze in den Klassenzimmern eine offizielle Stellungnahme herausgegeben. (5. November 2016)
Die Sprache der Forderung: „Kruzifix: Raus damit!“
Schon die aggressive Überschrift „Raus damit, Kruzifix nochmal!“ verrät eine Geisteshaltung, die wenig Sensibilität mit religiösen Symbolen erkennen lässt. Meist hängt in den Klassen ohnehin kein Kruzifix – ein Kreuz mit dem gemarterten Jesus darauf – sondern ein schlichtes Kreuz ohne Korpus. Das ist gut so. Ich glaube auch, dass ein Kruzifix tatsächlich weniger in eine Klasse passt als ein schlichtes Kreuz. Euer „Kruzifix nochmal“ in der Headline kann zugleich im Sinne von einem Schimpfwort missverstanden werden – und wird wohl auch meist so verwendet. Vor allem aber das fundamentalistische „Raus damit!“ ist ein gefährlich populistischer Schlachtruf.
Dann schreibt Ihr: „Nageln wir die Schule nicht ans Kreuz, sondern schaffen wir eine faire Lernumgebung.“ Bedeutet ein Kreuz in der Klasse eine „unfaire“ Lernumgebung? Nebenbei bemerkt, verzeiht mir die Ironie, könnte dieser Sager von der Diktion her aus der berüchtigten Kickl-Sprüche-Werkstatt stammen.
Ein „neutrales Klassenzimmer“?
Gerade als Theologe und nach jahrzehntelanger interreligiöser Beschäftigung verstehe ich den Satz nicht, den Ihr als Begründung nennt: „Zu einer neutralen und ausgeglichenen Schule gehört auch eine neutrale Klasse, in der alle Religionen gleich wertgeschätzt werden.“ Bedeutet es wirklich weniger Wertschätzung der nichtchristlichen Religionen, wenn ein Kreuz im Klassenzimmer hängt?
Mit dem Stichwort „neutrales Klassenzimmer“ kann ich wenig anfangen. Ihr wisst selbst, dass es in jedem Klassenraum nur so von Symbolen wimmelt, von angebissenen Äpfeln auf den digitalen Geräten über die Logos der Kleidermarken, von religiösen Symbolen auf Halsketten oder sogar als Tattoos. Soll den traditionell gekleideten islamischen Mädchen das Kopftuch verboten werden, damit das Klassenzimmer „neutral“ ist?
Aus den Stunden in Geschichte und Politische Bildung wisst Ihr, dass es immer dann gefährlich wird, wenn religiöse Symbole verboten wurden oder werden. Ein Kreuzchen um den Hals in den von den Taliban regierten Gebieten Afghanistans oder Pakistans könnte ein Todesurteil sein. Ihr kennt die Zeit, als auch hierzulande das Kreuz verboten wurde und mit dem schrecklichsten aller Schreckenskreuze ersetzt wurde.
Das Kreuz als interreligiöses Pluszeichen
Wenn das Kreuz als Symbol für das Christentum genommen wird – also für die Botschaft und das Leben des Jesus von Nazareth – dann ist es ein Symbol, das für eine radikale Offenheit gegenüber anderen Religionen steht, für Gewaltfreiheit und Gewaltverzicht, für Barmherzigkeit und Nächstenliebe. Ein Dalai Lama hätte kein Problem damit. Ich denke an den jüdischen Maler Marc Chagall: Wie oft hat er gerade auch mit Blick auf die Shoah das Kreuz als wichtiges Symbol ins Bild gebracht!
Demokratisch abstimmen?
Und dann wollt Ihr ein Einstimmigkeitsprinzip einführen, mit dem über das Kreuz in den Klassenzimmern abgestimmt wird. Wie soll dies aussehen? 1. Klasse Volksschule, Klassenlehrerin fragt die Kinder: Stimmen wir nun über das Kreuz ab? 6. Klasse Oberstufe: Ein Schüler schlägt vor, ein Nudelsieb aufzuhängen. Alle finden das lustig. Das Kreuz wird abgenommen, weil es keine Mehrheit hat. Nun hängt ein Nudelsieb dort für die Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters.
Im Bereich der Höheren Schulen ist es jedenfalls so, dass in wichtigen Fragen auch nicht nur im Klassenzimmer abgestimmt wird. Alle Schulpartner – Lehrpersonen, SchülerInnenvertretung, Eltern – sind einzubinden. Daher läge eine enstprechende Entscheidungsgewalt im Schulgemeinschaftsausschuss, an dem drittelparitätisch Lehrpersonen, Schüler- und Schülerinnen sowie Eltern vertreten sind.
Das Kreuz als universal positives Zeichen
Zu Beginn eines Schuljahres ging ich mit einer neuen Oberstufenklasse in den Wald. Unser Thema war: Das Kreuz in ihrer Klasse. Wir saßen im Kreis an einem Waldrand. Die Schülerinnen und Schüler sollten zunächst herausfinden, was das Symbol Kreuz in ihrem bisherigen Leben bedeutet hat. Eine 15-Jährige hatte ein kleines silbernes Schmuckkreuz an ihrer Halskette. „Meine Oma hat es mir vor langer Zeit geschenkt. Es beschützt mich …“, erklärte sie, „aber eigentlich ist es die Oma, die immer für mich da ist“. Ein Kreuz als Symbol für Schutz nicht im Sinne von Magie, sondern von existenzieller Lebenserfahrung einer Jugendlichen. Ein Schüler spielte nachdenklich mit den Rindenresten, die sich von einem Baum gelöst hatten, und bildete aus zwei von ihnen ein Kreuz mit einem Längs- und einem Querbalken. Die Rinde schützt den Baum. „Wir könnten dieses Rindenkreuz in die Klasse hängen“, meinte der Schüler. Dort hing es dann das ganze Schuljahr, links neben der Tafel, oberhalb der Uhr, rechts vom Lautsprecher und ich bin überzeugt: Es war ein Symbol der Dankbarkeit für jede schützende Begleitung, die die Jugendlichen erfahren.
Das Kreuz ist ein Hoffnungszeichen, weil es an Jesus und seine gelebte Botschaft des Gewaltverzichts erinnern kann. „Aber islamische Schüler:innen, die in der Klasse sitzen, würden doch nicht an Jesus glauben!“, lautet dann der Einwand. Und man dürfe ihnen doch nicht ein christliches Symbol aufdrängen. Nuri, ein islamischer Schüler in der Runde, widerspricht: „Für mich ist es kein Problem. Im Gegenteil. Isa ibn Maryam, Jesus, der Sohn Marias, ist ja auch ein Prophet für uns. „Jesus war ein cooler Typ“, ergänzte ein anderer, der selbst keiner Konfession oder Religionsgemeinschaft angehört. Und: Jesus war Jude! Säße ein Hindu in der Runde, würde er vielleicht sagen: „Wie eine Inkarnation Krishnas.“ Jedenfalls hat der Hindu Gandhi Jesus als größten Lehrer der Gewaltfreiheit bezeichnet. Und: „Jesus und Buddha seien Brüder.“ Wir reden dann über Länder, in denen zwar der Muezzin lautstark mehrmals am Tag vom Minarett ruft, in denen Frauen verfolgt werden, wenn sie die strengen Bekleidungsvorschriften nicht exakt einhalten, während zugleich Kreuze verboten sind und selbst individuell ein Kreuzchen an der Halskette Verfolgung bedeuten würde. Dankbar können wir sein, dass ein Kreuz in öffentlichen Räumen auch als Ausdruck von Religionsfreiheit sein darf. In all dem Reden und Nachdenken wird deutlich, dass das Kreuz in Klassenzimmern nicht ein kirchliches Herrschaftszeichen ist, sondern vielmehr universales Symbol mit vielfach positiver Bedeutsamkeit.
Als Lehrperson weiß ich, natürlich von einer bestimmten Sichtweise aus, was in den Schulen hierzulande geschieht und was Schülerinnen und Schülern bzw. ihren Vertreterinnen und Vertretern wichtig ist. In meiner Rolle als Religionslehrer oder als Klassenvorstand konnte ich immer wieder mit Schülerinnen und Schülern über das Kreuz in den Klassen reden. Nie habe ich bis jetzt gehört, dass ein Kreuz eine Schülerin oder einen Schüler gestört hätte. Im Gegenteil. Manch ein Schüler mag bei einer schwierigen Schularbeit doch gerne auf das Kreuz blicken und – wie ein Fußballspieler vor einem wichtigen Match – sich mental von daher noch Stärke holen. Andere wiederum sehen im Kreuz ein Stück religiöser Heimat. Wenn mehr Reflexion geschieht, dann wird dieses Kreuz dankbar auch als Zeichen von Religionsfreiheit gewertet. In einem guten Unterricht schließlich kann auch die universale Bedeutung des Kreuzes verdeutlicht werden – die nicht aus-, sondern einschließt. Warum soll daher dieses Pluszeichen aus den Schulen verschwinden? Die Ablehnung des Kreuzes in Form eines kämpferischen Atheismus wurde bislang meist von außen in die Schulen hineingetragen – sozusagen als Diskussion aufgezwungen. Ich verstehe daher nicht, warum die Vertretung der Schülerinnen und Schüler solchen fundamentalistischen Stimmen Raum gibt.
Trennung von Ethik und Religion?
Über Eure plakative Forderung nach einem flächendeckenden Ehtikunterricht, der vom Religionsunterricht entkoppelt wird, möchte ich an dieser Stelle nicht schreiben, weil ich dazu mehr als genügend publiziert habe. Was herauskommt, wenn Ethik und Religion getrennt werden, könnt Ihr jedenfalls überall dort sehen, wo solches Auseinanderdividieren geschieht – u.a. in den Kriegsgebieten dieser Welt.
Mit freundlichen Grüßen,
Klaus Heidegger, Religionslehrer und Vorsitzender der Katholischen Aktion der Diözese Innsbruck, www.klaus-heidegger.at