Auf Berge steigen bedeutet besonders im Winter, die jeweiligen äußeren Bedingungen genau ansehen und sich dann für Routenwahl entscheiden – und vor allem zählen auch die Vor-Ort-Entscheidungen. Am wichtigsten sind dann Menschen, die sich mit dir auf den Weg machen, die man manchmal am Weg trifft, mit denen man bei Unsicherheiten gemeinsam Klarheit gewinnen kann, in denen Freundschaft besonders spürbar wird. Ein Aufstieg kann an einem Tag problemlos sein, ein anderes Mal widerlich. Das macht den besonderen Reiz des Bergsteigens aus. Das Unerwartete. Das Gnadenhafte. Das passte wohl auch zu diesem Tag. In meinen Tourenberichten geht es mir nicht darum, zu den vielen Beschreibungen, die es in Büchern oder auf Websites gibt (Danke!), noch eine objektive Topo hinzuzufügen mit Zeitangaben oder Höhenmetern, sondern das Subjektive durchscheinen zu lassen, das sich rund um das Objektive ereignet.
Heute in diesem schneearmen Winter, in dem die Folgen der Klimaerwärmung einen neuen Namen bekommen haben: „Winterdürre“. Am Tag zuvor hat es weit hinauf geregnet. Die Lawinenwarnstufe soll aufgrund der Erwärmung von 1 auf 3 steigen. Wir änderten das Ziel unserer Tour. Mein Freund kennt die neue Route auf einen Skitourenklassiker in den Stubaier Bergen mit dem merkwürdigen Namen „Kuhscheibe“. Wir fahren nach Gries ins Sulztal, einem kleinen versteckten Bergdorf, das auf einer Bergstraße von Längenfeld aus in 5 km zu erreichen ist. Eine Loipe, ein kleiner Skilift, an dessen Ende ein Riesenhotel steht, eine Kirche unten, um die sich ein paar Dutzend Häuser befinden – das ist Gries auf stolzen 1600 Hm. Zunächst geht es dem Rodelweg entlang, vorbei an der Sulztalalm und dann zur Amberger Hütte (2135 m). Der formschöne und mächtige Schrankogel prägt das Panorama beim Aufstieg. Ab der Hütte beginnen dann bald die Felle zu stollen, weil sie schon die Feuchtigkeit vom regennassen Schnee aufgenommen haben. Ich fühle mich gleich um mehr als 10 Kilo schwerer. Schneeklumpen picken an der Skiunterfläche und machen das Steigen sehr anstrengend. Hin und wieder kratze ich den Schnee weg. Zwei Einheimische und drei junge Frauen sind auch unterwegs und wir können uns beim Spuren etwas abwechseln. Die Längenfelderin und ihr Freund kennen die Gegend sehr gut. Mulden und Steilstufen wechseln sich ab. Vor dem Skidepot heißt es noch einmal, einen steilen Hang zu queren. Wir halten Sicherheitsabstände. Die drei jungen Frauen drehen hier um. Am Grat zum Gipfel liegt etwas Schnee, der hart gepresst ist. Steil fallen die Wände auf der anderen Seite ab. Meine Steigeisen geben sicheren Halt. Die Zahl der Dreitausender rundherum ist unzählbar und ich kenne nur ein paar wenige davon. Allein sitze ich zunächst am Gipfel und staune und bin froh, dass mein Freund dann nachkommt. Abfahrt: Vorsichtig in den Steilhängen – der unterste davon wird schon sulzig weich – geht es wieder hinunter in die Sulze, die heute wohl ihrem Namen besonders gerecht wird. Einkehr in der Amberger Hütte mit ihrem Schwefelsee und dem Panoramablick über die Sulz mit dem Talabschluss von Gletschern und eingekreist von mächtigen Bergen, mit einem freundlichen Kellner und einem Sauren Radler.
Ich möchte so gerne dieses Bergglück verwandeln zu einem Engagement für eine Welt, in der es weniger Leid und Zerstörung gibt, und zu einer Kraftquelle für ein Leben mit all dem Widersprüchlichen.
Klaus Heidegger, zum Bild: Wilde Leck, gesehen vom Gipfel der Kuhscheibe aus