Ein liebend-verliebter junger Mann
Nicht weil es zunächst in der Bibel steht, sondern weil es menschlich-physisch-psychologisch und soziokulturell-historisch sowie religiös-theologisch begründbar ist, dürfen wir uns vorstellen, dass Maria und Josef als typisches jüdisches Paar miteinander lebten. Sie liebten sich, sie zeigten einander Wertschätzung und sorgten sich füreinander – und sie haben auch noch mehrere Kinder gemeinsam gehabt. So ist es ganz natürlich, wenn sowohl im Markusevangelium (Mk 6,3) als auch im Matthäusevangelium (Mt 13,55f) Jakobus, Joseph, Judas und Simon als Brüder Jesu namentlich genannt und weitere Schwestern erwähnt werden.
Josef als zärtlicher Liebhaber und Ehemann Marias und kein Greis
Zum Glück vergilbt ein anderes Bild des Josef. In barocken Gemälden war es Tradition, Josef als „alten Mann“ darzustellen, der wie ein greiser Opa das Jesuskind hegt, neben ihm die jugendliche Maria, die bildlich gesehen seine Tochter sein könnte. In den von der Gnosis beeinflussten apokryphen Texten des zweiten Jahrhunderts wurde diese Interpretation erfunden. Das passt zur gnostischen und manichäischen Tendenz, aus der Jesusgeschichte die Sexualität zu verbannen und gedanklich Maria in ihrer biologischen Jungfräulichkeit festzuschreiben. Dabei wird selbst in den Evangelien davon geschrieben, dass Josef mit Maria noch weitere Kinder hatte. In der erosfeindlichen Tradition des Jakobusevangeliums wurde auch die sogenannte „Josefsehe“ erfunden.
Dieses Muster, in dem aus der Beziehung zwischen Maria und Josef die Sexualität und der Eros entfernt wurden, passt zu einer sexualfeindlichen Tradition im Christentum und bedarf einer Reversion. Die Josefsgestalt sollte nicht mehr dazu dienen, erosfeindliche Denkweisen und Strukturen in der Kirche zu stabilisieren. Josef als zärtlichen Liebhaber Marias zu sehen würde bedeuten, den „Eros zu entgiften“ – wie es Martin Lintner vielleicht ausdrücken könnte. Eros und Sexualität sind auch mit Blick auf Maria und Josef Kräfte, die ein Stück des Himmels auf Erden spürbar werden lassen können in Freundschaften und Beziehungen. Ich stelle mir Josef heute vor als jemand, der in Mirjam verliebt war, der sie so ganz lieben konnte. Wie sonst hätte er – so auch die Botschaft der Evangelien – selbst in der äußerst schwierigen Situation einer ungeplanten und außerhalb der Konventionen erfolgten Schwangerschaft seine Verlobte unterstützen können.
Nur wenn wir die Bezeichnung „Jungfrau Maria“ in einem biologischen Sinne missverstehen und damit die theologische Bedeutsamkeit von diesem Mythos nicht erkennen wollen, hätten wir Probleme damit, dem Josef und der Maria auch weitere Kinder zuzugestehen. Dann wären wir verleitet, dem leib-, eros- und sexualfeindlichen Trend zu folgen, Maria als „reine Magd“ zu sehen und diese „Reinheit“ auf eine biologische Jungfräulichkeit zu reduzieren. Dann aber folgten wir dem apokryphen Narrativ, uns Josef als alten Mann vorzustellen, der aus einer früheren Ehe schon Kinder mit in die neue Beziehung mit Maria gebracht habe. Nichts von dem aber steht in den Evangelien. Es scheint, dass sich gerade mit Blick auf die Familiengeschichte Jesu das apokryphe Jakobusevangelium weiterhin mehr im Volksglauben festgemacht hat, als eine von Leibfeindlichkeit befreite historisch-kritische Exegese der Evangelien, die gerade in Bezug auf die ersten Lebensjahre Jesu und die Kindheitsgeschichten selbst schon wieder theologisch verpackte und gefärbte Historie sind.
Die Auslegungstradition, Maria in ihrer biologischen Jungfräulichkeit zu konstruieren, ist lange. Da sind die einen, die die Worte Marias in der Verkündigungsszene „wie soll dies geschehen, da ich keinen Mann erkenne“ in einer Weise interpretieren, dass Maria immer schon biologisch-jungfräulich leben wollte. Dies würde jedenfalls ideal zur gnostisch-manichäischen Leibfeindlichkeit passen, wohl nicht aber zur hohen Wertschätzung von einer ganzheitlichen jüdischen Ehe. Eine bewusst gewählte Ehelosigkeit als Lebensform war im Judentum keine religiöse Lebensform.
Wenn wir es also wagen, uns Josef als jungen Mann vorzustellen, der Maria liebte, und nicht im Stande des Konstrukts einer „Josefsehe“, in der es keine geschlechtliche Liebe gibt, dann beginnen wir Sexualität als Geschenk des Göttlichen integral zu sehen und dies auch mit dem Leben und der Botschaft Jesu in Verbindung zu bringen. Wenn wir uns Josef als knapp Zwanzigjährigen, nicht aber als Siebzigjährigen vorstellen, dann müssen wir nicht herumtüfteln, ob die im Evangelium genannten Brüder (adelphoi) nun Cousins von Jesus waren oder Brüder in einem geistigen Sinne oder eben Halbbrüder Jesu aus einer vorherigen Ehe des Josef.
Mir ist ein anderer Blickwinkel entscheidend. Vielleicht hat Jesus gerade von Josef und seiner Mutter Maria und in deren ganzheitlicher Verbindung gelernt und erfahren, was Liebe ist – und daher auch, was göttliche Gegenwärtigkeit ist. So kann der Mann Josef in seiner ganzen Männlichkeit, aus der die Sexualität und der Eros nicht weggedacht werden, als Liebhaber, als zärtlicher Vater und starker Rebell, als Erzieher seiner Kinder, als Flüchtling und gesetzestreuer Jude ganz neue Bedeutung gerade für Männer und Burschen bekommen. Er wird zum Patron für Verliebte wie für Ehemänner bei ihrem gnadenhaftgetränkten Bemühen, in ihren Beziehungen ein Stück des Himmels zu erfahren und zu leben.
Josef als fürsorglicher „Nährvater“ und die gendergerechte Verteilung der Care-Arbeit
In Tirol gibt es wohl kaum ein älteres Kirchengebäude, in dem es nicht eine Josefsstatue oder Josefsdarstellung gibt. Meist wird Josef in den traditionellen Darstellungen als „Nährvater Jesu“ dargestellt. So sehe ich ihn in dem Bild am Josefsaltar in meiner Heimatpfarre, vor dem ich oft die Kommunion austeilen konnte: Sein Kopf ist demütig zur Seite geneigt. Josef bekommt eine Rolle zugeteilt, die sich wie folgt darstellen lässt: Demütig die Herausforderungen annehmend, nicht aktiv, sondern durch „Unterlassungen“, durch „Nicht-Handeln“, so Josef Quitterer, ehemaliger Dekan der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck in einem Beitrag zum Josefstag. Dazu passt das Narrativ vom „Windel-Josef“. Josef gilt als derjenige, der „die zweite Geige spielt“, ist der „Vater im Schatten“, so Papst Franziskus. Ähnliche bildhafte Interpretationen vom fürsorglich sich um den Neugeborenen Kümmernden gibt es in zahlreichen gotischen Wandgemälden in den Kirchen Nord- und Südtirols. Sie zeigen Josef, der nach der Geburt an einer Feuerstelle sitzt und für seine junge Familie eine Suppe kocht. Der häusliche Josef ist im Vergleich zu Maria eine Hintergrundfigur: Windeln waschend, liebevoll das Kind schaukelnd, Suppe kochend. Der Dogmatikprofessor Jozef Niewiadomski weist ebenfalls zum Josefstag auf diese zärtliche Seite seines Namenspatrons hin. Eine syrische Ikone über die Geburt Jesu zeigt Josef, der sich liebevoll um Jesus kümmert und ihm ein Schlaflied vorsingt. Niewiadomski dazu: Der biblische Josef habe nur eine „Nebenrolle“ gespielt, zurückhaltend, weg vom Rampenlicht.
In solchen Darstellungen und Interpretationen wird ein Männerbild vermittelt, das tatsächlich ein wichtiger Kontrapunkt zu patriarchalen Rollenzuweisungen ist, in der zu oft Männer aktiv außer Haus gesehen werden, fern der Kinder- und Hausarbeit. Angesichts der fortbestehenden ungleichen Verteilung von Haus- und Kinderarbeit zwischen den Geschlechtern ist es wichtig, in Josef ein Vorbild für ein neues Männerbild zu haben. Es braucht die Männer, die sprichwörtlich die „Windeln waschen“, Suppen kochen, Kinder zärtlich in den Armen wiegen und ihnen Schlaflieder singen. Es braucht die Väter in der Carearbeit, die weiterhin in einem viel größeren Ausmaß von Frauen und Müttern erledigt wird. Es braucht die Papas, die Karenzzeiten in Anspruch nehmen – und mehr als nur einen Papamonat. Solche Männer werden durch den häuslich-zärtlich-demütigen Josef ermutigt. Diese Josefsperspektive fördert die notwendige Sichtweise, in der patriarchale Rollen dekonstruiert und gendergerechte Lebensweisen konstruiert werden.
Josef: Rebell und Widerstandskämpfer – die historisch-kritische Verortung der Josefs-Geschichte
Die neutestamentlichen Hinweise auf Josef zeigen uns, dass wir ihn uns nicht nur mit Windeln und Kochtopf und Tischlerwinkel vorstellen dürfen. Programmatisch wird er in beiden Kindheitsgeschichten bei Matthäus und Lukas als Davidide bezeichnet. Das ist eine hochpolitische Ansage. Wer in der damaligen Besatzungswirklichkeit mit König David in Verbindung gebracht wurde – damit ist nicht so sehr eine Blutsverwandtschaft gemeint –, stand in Opposition zum Kaiser in Rom und seinen brutalen Stellvertretern im besetzten Palästina. Nachfolger Davids zu sein bedeutete, im Widerstand zu sein. Historisch gesehen wird diese Tatsache mehrfach unterstrichen, wenn die Codes der Kindheitsgeschichten ernst genommen werden. Josef wird ausdrücklich als jemand geschildert, der aus Nazareth in Galiläa stammt. Mit Galiläa verband man die Gegend des politischen Widerstands. Es war die Peripherie, in der Zeloten und Sikarier mit Guerillaangriffen den römischen Besatzungssoldaten das Leben schwer machten. Umso brutaler waren wiederum die römischen Repressionen. Idealtypisch wird die politische Dimension in den Kindheitsgeschichten nach Matthäus und Lukas geschildert: Josef, der mit Maria von Galiläa nach Betlehem zieht. Hier wird der politische Faden zwischen den Aufständischen im Norden des Landes und der Stadt Davids geknüpft. Josef, der mit Maria und ihrem Neugeborenen nach Ägypten flieht und damit in jenes Land, wo die Wiege des politischen Aufbruchs des Volkes Israel liegt. Josef, der zurück nach Nazareth in Galiläa geht und damit den Exodusfaden wieder aufnimmt. Die bildhafte Interpretation stellt dabei Josef als „Reisegefährten“ stets einen Esel zur Seite – jenes messianische Reittier, auf dem später „sein“ Sohn den Triumphzug in Jerusalem machen wird. In der sozialrevolutionären Perspektive wurde immer schon betont, dass Josef in den Evangelien mit der Berufsbezeichnung „tekton“ genannt wird, worunter wir uns heute einen Bauhandwerker vorstellen können, der dort an Baustellen diente, wo gerade Häuser oder andere Gebäude errichtet worden sind. Josef verorte ich daher nicht nur mit Windeln und Kochtopf, sondern ich sehe ihn wie einen Mann im legendären Gemälde von Novecento. Neben ihm könnte Maria mit dem Jesuskind sein.
Klaus Heidegger, Josefitag 2024, 19. März