Es ist nur kalendarisch noch Frühling in der Mitte des Aprils. Die erhitzte Erde hat in den letzten beiden Aprilwochen des Jahres 2024 in den Alpentälern schon Temperaturen von bis zu 30 Grad aufgezeigt. Der Raps blühlt strahlendgelb. Der Pegel des Inns ist gestiegen. Der Wind weht die Löwenzahnsamen von den Köpfen. Wenn ich an die Blechwürmer in der Stadt denke, wenn ich an den Blechwurm auf der A12 denke, der wir mit unseren Rennrädern etwas entlang fahren, dann denke ich mir wieder, wie ignorant die Massen doch sein müssen, dass keine Umkehr stattfindet. Unsere Radroute führt von Innsbruck über Völs und Kematen und Zirl durch die verbliebenen Reste der Aulandschaften des Inns. Hinauf in der Hitze geht es von Telfs die Serpentinen zur Buchener Höhe. Noch sind die gegenüberliegenden Sellrainer Berge und auch die Gipfel des Wettersteingebirges und des Karwendels mit Schnee überzogen und der Firn lockt verlockend hinunter und ich ertappe mich dabei, dass ich hin und wieder gerne den Asphalt mit dem Firn vertauschen möchte. Donnernde Motorräder reißen mich manchmal aus den Gedanken und hinter mir landet eines von ihnen auf der Straße, weil ein Überholmanöver des Rasers mit seiner Höllenmaschine wohl daneben geht. Direkt proportional zur Hitze und zur Steigung hinauf nach Buchen, rund 600 Höhenmeter, steigt auch der Puls. Das Seefelder Plateau ist fast kitschig schön mit seinen Wiesen und kleinen Weilern der Leutasch. Dankbar bin ich dem Windschatten – und noch mehr der Person, die mich begleitet, weil der Wind bläst heute vom Norden über die tiefgrünen Felder, die so wunderschön im Kontrast zum tiefblauen Himmel und den schneebedeckten Kalkbergen sind. Ich blicke zu einigen hinauf, die ich in den letzten beiden Jahren mehr und mehr kennenlernen konnte. Mittenwald ist wie immer eine verschlafene Ortschaft, so als würde hier das Ende der Welt sein – irgendwie ist es ja das Ende bzw. der Anfang von Deutschland. Ob Ende oder Anfang, das liegt wohl, würde Kant sagen, in der Subjektivität des Betrachtenden. Allein fahre ich dann wieder zurück über das tiefgrüne Seefelder Plateau, wo Himmelschlüsselwiesen noch anzeigen, dass Frühling und doch nicht Sommer ist. Sanft schlängelt sich die Leutascher Ache gefüllt mit Schmelzwasser von Nord nach Süd durch das breite Hochtal. Nun in meine eigene Gedankenwelt versunken geht es vorbei am Ludwig-Ganghofer-Museum, das in der alten Dorfschule in der Leutasch untergebracht ist. Ganghofer – der Kriegspoet, der Heimatdichter, bekannt für seine vielen propagandistischen nationalistischen Gedichte, die die tapferen Soldaten priesen, die im Ersten Weltkrieg für den Kaiser kämpften und fielen. Ich denke an die Kriege heute, an die Ukraine, an den Nahen Osten – und an jene, die wie Ganghofer damals militärisches Tun für ethisch geboten betrachten. Rasant geht es hinunter ins Inntal. Dankbar bin ich nun für den Rückenwind, der mich zurück nach Innsbruck schiebt. Einiges mehr als 100 Kilometer mit rund 1400 Höhenmetern waren es mit viel Frühling und Sommer zugleich, mit Gedanken, die weit über die wunderbare Frühlingslandschaft hinausgehen – und dann wieder bei der kriegerischen Eskalation im Nahen Osten ankommen. Wie schön wäre diese Welt, würde sie nicht von Unvernunft bestimmt, wäre 300 Jahre nach Kant Vernunft der Maßstab jedweden Handelns – privat wie gesellschaftlich-politisch.
klaus.heidegger, 14.4.2024