Geehrter Herr Professor aus Königsberg!
22. April 2024. 300 Jahre sind Sie nun alt und Ihre Gedanken bleiben so modern und zeitlos gültig, wie sie vor weit mehr als 200 Jahren schon waren, als Sie schrieben ein grundlegendes Werk nach dem anderen, als Sie begründeten ein Denken, das eine Freiheit des Denkens ermöglicht und die Vernunft als Maßstab des Handelns nimmt. Wie schön, dass Sie geboren sind, am 22. April 1724. In meinen ersten vier Semestern des philosophischen Studiums, der Metaphysik und der Erkenntnislehre, sind Sie mir oft begegnet, bauten doch all die großen Philosophinnen und Philosophien der nächsten Jahrzehnte irgendwie auf ihren Schriften auf. Eine kleine davon nehme ich an Ihrem Jubiläumstag zur Hand. Erschienen ist das Büchlein jetzt als gelbes Klassiker-Reclamheft. Sie liebten ja die Farbe gelb. Farbe passt also zum Autor. Rund 60 Seiten ist es schmal. Es ist viel leichter zu lesen als Ihre Grundlagenwerke wie die „Kritik der reinen Vernunft“. Die Schrift, um die es mir heute geht, haben Sie nach einem Landgasthaus benannt: „Zum ewigen Frieden“. Der große Denker hat Sinn für Humor und geniale Metaphern zugleich. Der große Frieden in all den Staaten und zwischen den Staaten hat wohl auch mit Dorfkneipen und Stammtischen zu tun. 1795, also sechs Jahre nach der Französischen Revolution, ist es erschienen. Da waren Sie schon ein altbekannter Mann. Da hat die Welt schon erfahren vom ambivalenten Charakter der Revolution, von Robespierre und seinem Terror auf der einen Seite und vom bürgerlichen Aufbegehren gegen imperiales Staatsgehabe andererseits.
Nur drei der Gedanken aus Ihrer Schrift „Zum Ewigen Frieden“ greife ich nun auf. Sie zeigen schmerzlich, wie wahr Ihre Friedensphilosophie doch ist.
Erstens träumten Sie davon, dass „stehende Heere mit der Zeit ganz aufhören sollen“. Sie stellten immer eine Bedrohung für den Nachbarstaat dar und je größer und stärker sie sind, des größer auch die Bedrohung, desto größer der Anreiz und die Versuchung, die militärischen Mittel tatsächlich anzuwenden. Der Blick auf unsere heutige kriegerische Welt zeigt, dass diese Argumentation durchaus zutrifft. Es sind die stärksten militärischen Nationen der Welt, die in Kriege verwickelt sind. Es war die militärische Macht Russlands, die zur Invasion in der Ukraine wesentlich beitrug. Es waren die Bedrohungsängste Russlands angesichts der NATO-Erweiterung, die vorher schon einen Stimulus für das Vorgehen Russlands bildeten. Wenn Frieden entstehen soll, dann gilt mit Kant bis heute: Raus aus der militärischen Logik von stehenden Heeren – hinein in eine andere Logik, die der Vernunft folgt.
Zweitens haben Sie in Ihrer Schrift „Zum ewigen Frieden“ auch eindrücklich davor gewarnt, dass im Kriegsfalle Mittel eingesetzt werden könnten, die letztlich einen dauerhaften Frieden völlig zerstören könnten. Terror darf nicht sein. Bewusste Aktionen, die einen Gegner nur verächtlich machen, wären einem künftigen Frieden abträglich. Ein Vernichtungskrieg bringt keinen Frieden mit sich. Es gilt die Probleme zu lösen. Der Mensch darf nie nur Mittel zum Zweck sein, sondern hat in sich einen unbedingten Wert. Töten von Menschen ist demgegenüber ein Widerspruch. Soldaten dürfen nie als Mittel in Staatsapparaten gesehen werden. Die Personwürde der Menschen verbietet es, zu töten und getötet zu werden. Solches Denken passt zu Ihrer großartigen Formel vom Kategorischen Imperativ. Hätten die Staaten und Menschen diesen KI in ihren Genen, so wäre der Ewige Frieden nicht länger nur Utopie.
Drittens schließlich haben Sie aufgezeigt, dass Demokratie und Frieden untrennbar miteinander verbunden sind. Wo Menschen ihre Interessen auf demokratischem Weg in staatliches Geschehen einbringen, dort, so haben Sie formuliert, werde es weniger leicht zum Krieg kommen. Heute leben wir in einer Zeit, in der von rechtsradikaler Seite die Demokratie wieder infrage gestellt wird. Es täte uns gut, mit Blick auf die Geschichte und die Gegenwart Ihre Gedanken weiterhin anzuwenden.
Danke, Immanuel Kant, Sie stärken mich weiterhin daran zu glauben und mich dafür einzusetzen, dass militärische Potenziale nicht immer noch weiter die Welt beherrschen werden, sondern dass es Alternativen jenseits unserer Kriegswelt gibt, die auf Gewaltfreiheit und Vernunft aufbauen.
Klaus Heidegger