Ein Bild des Tages mit hohem Realsymbolwert ist am 31. Mai 2024 auf der STANDARD-Titelseite: Antony Blinken tritt mit der tschechischen Verteidigungsministerin auf grüner Wiese vor die bereitgestellten Rednerpulte. Hinter ihnen sind Kampfpanzer. Die Kanonenrohre zeigen über ihre Köpfe hinweg nach rechts. Rechts liegt geographisch gedacht und gefühlt Russland. Über dem Bild die Überschrift: „Nato rüstet sich demonstrativ für Gipfeltreffen …“ Dort sollen alle 32-Natostaaten sich gemeinsam verpflichten, die Ukraine militärisch zu unterstützen.
Dazu passt wie ein Puzzlestück zum anderen: In Deutschland treffen sich Macron und Scholz und drehen weiter an den Schrauben der Kriegseskalation. Nato-Waffen dürften von der Ukraine auch eingesetzt werden für Militärbasen in Russland. Und wieder taucht der zynische Begriff vom „Neutralisieren“ auf. Neutralisieren bedeutet Raketen abfeuern, bedeutet töten und morden. „Wir müssen ihnen erlauben, militärische Stützpunkte zu neutralisieren …“, meinte der französische Staatschef und kein europäischer Staatschef des Westens und kein amerikanischer Präsident scheint ihn mehr zu mäßigen. Die Botschaft kommt in Russland an und Putin droht einmal mehr damit, dass die europäischen Staaten und insbesondere die Kleinen unter ihnen mit „ernsten Konsequenzen“ zu rechnen hätten. Meint er damit gar den Einsatz von taktischen Atomwaffen? Privatchats von Schilling sind hierzulande jedenfalls mehr Thema im EU-Wahlkampf als die militärischen Eskalationen.
In Deutschland selbst spricht der Verteidigungsminister davon, die Armee „kampftauglich“ zu machen. Die Zahl der Soldaten soll um mehr als 20.000 auf 200.000 erhöht werden. Nochmal mehr Soldaten sind für Polen geplant. Ziel: 220.000 Männer und Frauen in militärischer Uniform. Die EU-Atommacht Frankreich erhöht um 55.000 auf künftig 275.000. Die Rekrutierungsmaßnahmen für erhöhtes militärisches Personal werden in den 32 Nato-Staaten mit teils ähnlichen Methoden verfolgt. Da sind erstens Anreizsysteme wie gute Löhne für militärisches Berufspersonal oder privilegierte Zugang zu Studienplätzen, zum anderen wird die Wehrpflichtschiene beschritten. Selbst in Deutschland wird an eine Wiedereinführung der Wehrpflicht gedacht. In Dänemark soll die verpflichtete Wehrdienstzeit verdoppelt werden. Schweden hat die Wehrpflicht wieder eingeführt und diese zugleich auf Frauen ausgedehnt. So geschieht es auch in Norwegen. Tu felix Austria? Allerorten wird Imagepflege für das heimische Heer betrieben und für einen Beruf im Militär geworben. Männer und Frauen im Tarnfleck sind im öffentlichen Aufwind. Niemand regt sich auf, wenn das neutrale Österreich in den nächsten Jahren bis zu 16 Milliarden an Rüstungsausgaben tätigen wird, finanziert aus einem Sonderbudget. Man stimmt zu, dass das normale Heeresbudget beinahe verdoppelt werden wird. Im EU-Wahlkampf 2024 ist es nur die KPÖ, die sich deutlich kritisch gegen eine Aufrüstung positioniert. Auf ihren Sujets steht der einfache Spruch: „Wohnen statt Kanonen“. Die Liberalen auf europäischer Ebene – und mit ihnen die Neos in Österreich – wollen eine eigene Europäische Armee und befürworten einen Kriegskurs in der Ukraine. Sie wollen, dass der Westen noch mehr Waffen liefert, die auch auf russischem Gebiet eingesetzt werden könnten. Der grüne Vizekanzler Werner Kogler sieht sich wohl ganz auf der Linie mit der grünen Außenministerin Deutschlands, wenn er so klar formuliert, dass die Grünen „ganz bestimmt keine pazifistische Partei“ seien. Weder ÖVP noch SPÖ noch ihre Verbündeten im Europaparlament äußern sich kritisch zu den militärischen Aufrüstungsdynamiken in Europa.
Ist es das vielzitierte Koalitionsmotto „das Beste aus beiden Welten“ von Schwarz/Türkis-Grün, wenn im Stakkato-Tempo immer noch mehr und neue Waffen für das Bundesheer angeschafft werden? Die Grünen haben sich von ihrem ehemals propagierten Grundpfeiler der „Gewaltfreiheit“ distanziert. Man gibt sich koalitionstreu, wenn Klaudia Tanner die Anschaffung von 12 weiteren Black-Hawks unterschreibt. Über eine Milliarde Euro wird dies kosten. Man redet sich gar nicht mehr damit aus, dass diese Hubschrauber doch für Katastropheneinsätze günstig wären. Es heißt: Damit wird die Leistungsfähigkeit des Bundesheeres ausgebaut. Schließlich sind diese Hubschrauber kompatibel mit der Nato und mit ihren Raketenabwehrsystemen auch geeignet für Kampfeinsätze. Und stolz wurde zu Beginn des Jahres die Anschaffung von 225 neuen Pandur-Panzern beschlossen. Kostenpunkt 1,8 Milliarden Euro. Und so wird es weiter gehen. Und weiter. Und weiter. Oder wird sich Österreich vielleicht doch jener Frau besinnen, die auf der 2-Euro-Münze uns an eine andere Botschaft erinnert: „Als ob das Töten irgend etwas gutmachen könnte! Als ob vergossenes Blut überhaupt etwas reinigen, etwas Geschehenes ungeschehen machen könnte! O, über den geheiligten Widersinn, unter dessen Herrschaft die blöde Welt sich gestellt hat.“
Klaus Heidegger, 31.5.2024
Danke für diesen Beitrag! Ich kann ihn voll unterstützen – und weiterleiten! (Besonders weh tut mir die militaristische Positionierung der GRÜNEN Spitzenpolitiker! Früher war die Grundpositionierung ‚ökologisch, sozial, demokratisch, gewaltfrei‘. Vom Friedensthema ist scheinbar nichts mehr übrig! Schade! Ohne Frieden ist Klimapolitik für die Katz! Die Grünen werden das auch schon bei den EU-Wahlen zu spüren bekommen.
Meinrad Schneckenleithner