Halbstündig fährt der Zug eine knappe halbe Stunde bis Seefeld, das sich so wieder wie ein Vorort von Innsbruck anfühlt. Vertraut ist mir die Strecke, weil ich jeden Winter häufig zum Skaten dorthin fahre. Oft blicke ich dann hinauf zur formschönen Reither Spitze. Bildet die rundliche Hohe Munde den westlichen Höhepunkt des Seefelder Plateaus, so ist es gegenüberliegend im Osten die pyramidenförmige Reither Spitze. Vertraut ist mir mein Freund, der wie eine Gämse auf und über Berge springt und wie ein Gecko selbst auf geröllhaltigen abschüssigen Platten pickt. Rund um Seefeld kennt er wohl jeden Gipfel und jeden Steig. Wir wählen die heutigen Pfade auch wegen meiner Schulterverletzung.
Vom Seefelder Bahnhof steigen wir zügig die ersten 500 Höhenmeter zur Rosshütte (1.751m) hinauf. Zahnrad- und Seilbahnen lassen wir links und rechts liegen. Mit Hütte hat die Rosshütte als Seilbhahn-Restaurant-Vernügungsstation aber wohl wenig zu tun. Es tut dann gut, dort auf einem Steig Richtung Seefelder Spitze (2.221 m) einem touristischen Getriebe auszuweichen. Die meisten Menschen bewegen sich ja auf dem Rücken zwischen der Bergstation auf dem Seefelder Joch und der Seefelder Spitze. Auch wenn ich es so oft sah: Der Blick in die zerklüftete Bergwelt des Karwendels und hinüber zu den schroffen Gipfeln der Erlspitzkette beeindruckt mich stets aufs Neue. Ein wenig bedauere ich schon, dass ich verletzungsbedingt momentan keine Klettersteige gehen kann. Wann wieder?
So geht es auf dem berühmten Klassikerweg weiter, der auch als „Seefelder Königstour“ bezeichnet wird. Auf dem Steig hinüber zur Reither Scharte liegt in einer Rinne noch Schnee. Das Überschreiten ist aber einfacher, als es aussah. Vor den Schneerinnen habe ich stets Respekt und momentan dürfte ich ohnehin nicht ausrutschen und auf die Schulter fallen. Da sind auch die Kraxeleien hinauf zur Reither Spitze (2 374 m) schon leicht grenzwertig. Aber es genügt meistens eine Hand für den schwarzgepunkteten Steig und die Stellen mit dem Stahlseil nehme ich linksseitig. Um die Gipfel des Karwendel kräuseln sich heute Wolken. Wir überschreiten den Gipfel und kommen zur Nördlinger Hütte und wählen dann den malerischen Kuntersteig hinüber zur Bergstation der Härmelekopfbahn. Hier beginnt dann wieder die Landschaft, die für den Skitourismus hergerichtet worden ist. Knieschonend gehen wir die feuchtweichen nun grünen Skipisten hinunter. Die äußeren Eckdaten: Rund 1400 Höhenmeter im Auf- und Abstieg, 16 Kilometer und 5 Stunden. Die inneren Eckdaten: Erlebnis von Bergwelt, eigenen Kräften, philosophisch angehauchten Gesprächen über Gott und Welt sowie Freundschaft, die Sicherheit schenkt. Dankbarkeit für die Natur, den Wind, den Duft der Latschen, die Buntheit der Blumen, die herumziehenden Wolken, die Gesteine des Hauptdolomits.
Klaus Heidegger, Johannistag, 24.6.2024