Dem Stadtleben entlaufen und in die Natur eintauchen: Hungerburg-Gleirschscharte-Gleirschspitze-Goetheweg-Hafelekar

Als unfreiwilliger Stadtbewohner schätze ich an Innsbruck, dass es nur ein paar Minuten dauert, um von der Stadt ganz in der Natur zu sein und selbst schulterverletzt noch genügend Möglichkeiten zu haben, auszubrechen vom dem, was einengt. Die Zeiterfahrung rutscht von der Horizontale in die Vertikale, von der Hektik einer Stadt in die Ruhe des Waldes, vom Lärm in die Stille. Was ich erfahre, wird mir geschenkt und hat sich jeder Ökonomisierung entzogen. Da rutschen meine Gedanken dann wie von selbst zu manch großen philosophischen Konzepten und ich denke an Henry David Thoreau und seinen extremen Rückzug in die Natur mit dem Streben, „das Leben mit allem Mark aussaugen, damit ich am Ende des Lebens nicht feststellen muss, ich habe gar nicht gelebt.“ Die Natur schenkt sich mir mit ihren Klängen, mit dem Zwitschern der Vögel im anfangs noch schattigen Wald, mit dem Summen der Bienen in der Fülle an zarten Alpenblumen und dem Wind in Kammnähe, der an einem heißen Sommertag so wohltuend ist. „Die Natur will nichts von mir …“, sprach einst Nietzsche. Sie erzeugt keinen Druck, keinen Bewertungsdruck. Die Dimensionen der Berge lassen mich ganz klein erscheinen und zugleich eingespannt in die planetarischen Weltenläufe. Die Berge schärfen die Aufmerksamkeit und Wachheit – weil jeder Schritt zählt. Diese Aufmerksamkeit und Wachheit möchte in die Tiefen mitnehmen. Zugleich ist mir das mehrfache Privileg bewusst, dass ich so leben kann, und spüre eine tiefe Dankbarkeit – auch für die vielen Menschen unten in der Stadt, die in so vielen Tätigkeiten für andere und die Gesellschaft arbeiten.

In den letzten Wochen habe ich stets neue Varianten gefunden, um vom Stadtgebiet auf die Nordkettengipfel zu gelangen. Diesmal war es die Variante über die Bodensteinalm und dann den ausgesetzten aber guten Steig zur Gleirschharte. Bis dorthin war ich stets allein. Von dort auf die Gleirschspitze (2317 m) ist es dann mit der Bergeinsamkeit vorbei. Kurz bin ich aber allein am Gipfel beim Kreuz. „Gleirsch“, abgeleitet vom römischen Wort „glora“ für Geröll, passt zu dem Geröll auf den Serpentinen hinauf zum schönen Aluminiumgipfelkreuz, das von Schülern der HTL Fulpmes erdacht wurde. 1500 Höhenmeter waren es von der Hungerburg weg. Am liebsten schaue ich von dort oben zu den großen Karwendelgipfeln im Norden und in die Täler, die auf der anderen Seite des Stadtgebietes liegen. Unten in der Stadt flimmert die Luft und über dem Unterinntal liegt eine grauslich-grau-blaue Smogschicht. Zurück geht es dann auf dem Goetheweg zum Hafelekar. Dort bin ich dann in die Welt der Smarthphones und ich komme mir zwischen den Touristinnen und Touristen im babylonischen Sprachengewirr zwischen Japanisch und US-Amerikanisch fremd vor.

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