Kriegsdienstverweigerung und Desertion
Am heutigen Tag, dem 9. August, denke ich an das Vorbild von Franz Jägerstätter. Der oberösterreichische Kriegsdiensverweigerer wurde am 9. August 1943 in Berlin Brandenburg hingerichtet, weil er den Dienst in der Wehrmacht verweigerte. Der von der katholischen Kirche Seliggesprochene hatte den Mut, ein Nein zum kriegerischen Treiben auszusprechen. Er glaubte vielmehr daran, dass durch die Verweigerung von militärischen Diensten das Wüten des Krieges beendet werden könnte.
Nach mehr als zwei Jahren Krieg gehen sowohl der Ukraine als auch Russland die Soldaten und Soldatinnen aus. Laut Militärführung bräuchte die Ukraine für ihren Verteidigungskrieg rund 500.000 neue Soldaten. Sowohl in der Ukraine als auch in Russland sind es zunehmend mehr junge Männer, die sich der Rekrutierung bzw. Wehrpflicht und damit einem Einsatz in den Kriegsgebieten entzogen haben oder aus den Armeen desertiert sind. Seit Beginn der russischen Invasion können in der Ukraine Männer zwischen 18 und 60 Jahren jederzeit zum Kriegsdienst eingezogen werden. Sie dürfen das Land nicht mehr verlassen. Auch in Russland ist es für Wehrpflichtige kaum möglich, den Dienst an der Front zu verweigern.
Die Fernsehbilder zeigen meist nur jene Männer, die auf den Schlachtfeldern kämpfen. Es sind die Bilder von Kriegern als Helden, von Kriegern als Verteidiger oder als Feinde. Es gibt aber auch jene, die nicht mehr mitmachen wollen. In Russland und in der Ukraine muss die Polizei auf den Straßen junge Wehrpflichtige einfangen. Wie viele Kriegsdienstverweigerer und Deserteure es in Russland und der Ukraine wirklich gibt, weiß niemand genau. Wie viele sich versteckt halten, untergetaucht sind, geflohen sind, darüber lässt sich nur spekulieren. In Zeiten des Krieges gelten die Kriegsverweigerer als Verräter. 200.000 ukrainische Verweigerer suchten beispielsweise in Deutschland Schutz. In der gesamten EU sollen sich bis zu 600.000 Wehrfähige aus der Ukraine aufhalten. Selenskyi fordert, dass ihnen die Aufenthaltsgenehmigung entzogen wird. In der Ukraine gibt es kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Wer verweigert oder desertiert, macht sich strafbar. Noch schlimmer geht es den Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren in Russland und in Belarus. Ein Ausweg aus dem Krieg sollte sein, dass EU-Länder einheitlich Fahnenflüchtigen aus Russland, Belarus oder der Ukraine Asyl und Unterstützung gewähren würden. Bereits 1926 schrieb Kurt Tucholsky vom Recht auf individuelle Verweigerung: „Unser Leben gehört uns. Ob wir feige sind oder nicht, ob wir es hingeben wollen oder nicht –: das ist unsre Sache und nur unsre. Kein Staat (…) hat das Recht, über das Leben derer zu verfügen, die sich nicht freiwillig darbieten.“
Wer den Kriegsdienst verweigert, ist nicht feige, sondern beweist eine ganz andere Form von Stärke. Auch ukrainische Verweigerer wollen ihr Land verteidigen – doch mit anderen Mitteln und nicht auf Kosten einer totalen Zerstörung ihres Landes. Verweigerung ist in all den Kriegen stets ein Zeichen gegen den Krieg und für nicht-militärische Wege zum Frieden gewesen. Verweigerung ist nicht Feigheit, sondern Mut, ist nicht Passivität, sondern Aktivität.
Neue Eskalationsstufe im russisch-ukrainischen Kriegsgeschehen
Ukrainische Truppen haben am 7. August aus ihrer Sicht erfolgreiche Angriffe auf russisches Gebiet unternommen. Ein EU-Kommissionssprecher tritt im Namen der Europäischen Union auf – ist die EU nicht Friedensnobelpreisträgerin??? – und legitimiert solches Vorgehen mit dem Hinweis auf das völkerrechtlich vorgesehene Recht zur Verteidigung. Bei der ukrainischen Offensive sollen auch US-amerikanische Panzer eingesetzt worden sein. Das Waffenarsenal aus dem Westen findet seine Anwendung. Erst vor ein paar Tagen war Präsident Selenskyi stolz, die F-16-Kampfflugzeuge in seinem Land empfangen zu können. Auf die Taurus-Marschflugkörper wartet er noch. Geht alles in dieser Eskalationsdynamik weiter, dann werden sie auch kommen: Waffen, mit denen weit in russisches Gebiet hineingeschossen werden kann.
Nun also haben ukrainische Bataillone Dörfer und Städte auf russischem Gebiet erobert. Häuser brennen, Menschen flieHen. Szenen wie in den ukrainischen Kriegsgebieten. Ist wirklich die gesamte EU mit solcher Logik einverstanden? Da gäbe es ja auch das neutrale EU-Mitgliedsland Österreich, das doch aufgrund seiner Verfassung nie und nimmer sich an einem Krieg militärisch beteiligen darf. Der österreichische Außenminister schweigt, der Bundeskanzler schweigt, selbst die grüne Führungsriege schweigt. Wer schweigt, stimmt zu, so lautet ein altes Sprichwort, das wohl in diesem Fall seine Berechtigung hat. Da bräuchte es so viele Männer und Frauen wie Franz Jägerstätter, die nicht schweigen, wenn Kriege geführt werden.
Klaus Heidegger, am Gedenktag des Seligen Franz Jägerstätter, 9. August 2024
Ich finde es interessant und durchaus verstörend, dass Sie steht über die moralische Pflicht Ukrainischer Soldaten berichten, die Waffen niederzulegen und passiven Wiederstand zu leisten. Jedoch scheint mir dies zynisch in Betracht der Tatsache, dass Russland die Ukraine angegriffen hat. Wäre die moralische Pflicht nicht vorallem bei Russischen Soldaten sich zu ergeben?
Es ist vorallem sehr problematisch die Ukrainische Armee mit der Wehrmacht zu vergleichen da dies direkt der Russischen Propagandemaschine in die Hände spielt. Ich bezweifle dass sie darauf eingehen werden, da Sie stets Lob vor Kritik priorisierten, aber vielleicht gibt es Ihnen einen Denkanstoß für Ihren nächsten Text!
Danke für Ihre Rückmeldung. Wenn Sie meine Texte lesen, dann wissen sie: Ich bin gegen JEDE militärische Gewalt, deswegen vor allem auch gegen den russischen Angriffskrieg. Deswegen auch sollte alles getan werden, um die russischen Wehrdienstverweigerer und Deserteure zu unterstützen – beispielsweise durch Asylmaßnahmen in der EU. Dieser Krieg muss gestoppt werden – aber dies geschieht eben nicht durch eine Verlängerung des Krieges und seine Ausweitung.