Hitze im Zeitalter der Erderhitzung
Ein Sommer, in dem wieder die Hitzerekorde des Vorjahres und des Vorvorjahres und aller Jahre und aller Jahrzehnte davor übertroffen werden. Wir sind längst in der anthropogenen Erdererhitzungsdynamik angekommen. Und trotzdem stauen sich in den tiefklimatisierten Abflughallen die Massen, um in jene Gebiete zu fliegen, die unter extremer Hitze leiden, an Strände, wo ein Bad im aufgewärmten Meer wie eine quallenverseuchte Badewanne ist, in die man lieber nicht hineinsteigt, oder in Städte, die vom „Overtourism“ überschwemmt werden; und trotzdem rollen und stinken und lärmen Urlauberkolonnen in Urlaubsgebiete, hocken gequält die Massen in von Verbrennungsmotoren gekühlten Autos. Man will sich vergnügen und schert sich nicht um die Menschen, die da leben links und rechts der Autobahnrouten und Durchzugsstraßen.
Fernab von solchem Geschehen, in dem ich nicht Teil sein möchte, hocke ich gedankenversunken über dem Tal, habe nur den sommerlichen Duft von Latschen und Bergkräutern in der Nase und ein sanfter Wind trocknet die Tränen des Weltschmerzes.
Verbrannte Vernunft in der Logik des Krieges
Ein Sommer, in dem in den Kriegsgebieten der Welt weiter gemordet und Verbrechen um Verbrechen begangen werden, in dem die Gewinne der Rüstungskonzerne steigen und Kriegsherren ihren menschenverachtenden Machtgelüsten folgen. Die Nachrichten von Offensiven und Gegenoffensiven, von kriegsflüchtenden Menschen und zerstörten Gebieten, von Bombardierungen ziviler Einrichtungen und dem beständigen Töten unschuldiger Menschen – dies alles ist schwer zu ertragen, auch wenn es für mich so weit weg zu sein scheint.
Ohnmächtig schreibe ich gegen solchen Wahn an – und ist doch all dies nur eine leise Stimme, die verschluckt wird vom kriegsyhsterischen Geschrei, das nur die Sprache der Gewalt kennt.
Anti-Wokeness beflügelt Rechtspopulismus
Ein Sommer, in dem sich rechtspopulistische anti-woke Medien mehr Sorgen machen um die Testosteronwerte weiblicher Boxerinnen, als um den Zustand der Welt, weil dieser Blickwinkel auf Intersexualität für sie ein gefundenes Fressen für ihre menschenverachtende Ideologie ist. Dazu passt wohl auch, dass man sich ereifert über eine queere Kunstaktion, die zu Beginn der Olympischen Spiele in Paris aufgeführt worden war: Ach, würde man sich doch vielmehr aufregen über die jahrhundertelange Verfolgung von homosexuellen Menschen, die in vielen Teilen der Welt noch andauert. Besonders von manch katholischen Kreisen wurde laut kritisiert, man verspotte mit solch queerer Darbietung auf einer Brücke über die Seine die Religion und verhöhne die Kirche. Diese katholischen Würdenträger sollten vielmehr auf homosexuellenfeindliche Regelungen in ihren eigenen Doktrinen blicken, die schwulen Männern verbietet, Priester zu werden, die Homosexuellenpaaren verwehrt, kirchliche Ehen zu schließen, und und in denen zugleich weiterhin absurde Verurteilungen der Homosexualität nicht längst schon widerrufen werden.
Ich zupfe mir die „Krone Bunt“ aus dem Sonntagszeitungs-Sackerl das neben dem Gackerl-Sackl hängt und weiß schon voreingenommen im Vorhinein, welch Gackerl-Geschreibe ich dort finden werde: Jeff Bezos prangt mit seiner Verlobten auf der Titelseite, und im Innenteil darf man mit Paparazzi-Fotos am Leben der Reichsten schnüffeln. Im gewohnten Krone-Format geht es gleich mehrseitig los gegen das, was als Wokeness bezeichnet wird. Der Dreifachdoktor Huber wird als Hormonpapst eingeführt und argumentiert mit Fachbegriffen aus der Chromosomenwelt gegen die Teilnahme der beiden siegreichen Olympiaboxerinnen, die nicht wirklich Frauen wären. Zitiert wird eine Stargeigerin unter der Überschrift „wie Frauen abgeschafft werden“. Sie spricht vom „Pseudo-Gender-Woke-Scheiß“. Kardinal Christoph Schönborn verknüpft seinen wöchentlichen Kommentar zum Sonntagsevangelium mit kritischen Worten zur Eröffnungsfeier in Paris, nennt diese „eine traurige und respektlose Posse“ und „peinliche Panne“, mit der das Letzte Abendmahl ins Lächerliche gezogen worden wäre.
Mit Blick auf die Stadt höre ich die Sonntagsglocken von so mancher Kirche, am schönsten wohl der volle Klang der Glocken von St. Jakob. So sehr wünsche ich mir, sie würden läuten gegen die Dummheiten in der Welt, gegen die Kriege, gegen die Verletzungen der menschlichen Würde von Menschen, die nicht in totalitäre Ideologien passen, wo Sexualität in ihrer ganzen Buntheit nicht sein darf.
Haut die Schwachen und fühlt euch stark
Ein Sommer schließlich, in dem wahlgekämpft wird und die Krone als auflagenstärkstes Printmedium kräftig Stimmung macht für jene Mehrheit im Land, die den blauen Populisten ihre Stimme geben könnte. In der Krone empört sich einmal mehr unter der Rubrik „quergedacht“ Klaus Woltron über jenen Fall der neunköpfigen syrischen Familie in Wien, die monatlich von 4.600 Euro Sozialhilfe lebt, und bezeichnet dessen Vater verächtlich als „lendenstark“. Warum, so könnten wir fragen, empört er sich nicht über die Bezieher höchster Einkommen oder Pensionen, die von solchem Lohn leben, aber nicht zugleich für Kinder oder eine Miete aufkommen müssen? Warum nimmt er nicht die jüngste Studie des Momentum-Instituts als Anlass für eine Empörung? Österreich sei das „Niedrigststeuerland für Superreiche. Vermögens-, Erbschafts- und Schenkungssteuer gibt es nicht, auch kaum eine angemessene progressive Besteuerung.
Latsche statt Ginsterstrauch und von einem Engel
Mit solchen Gedanken lebe ich in den sommerlich-heißen Mitsommer-Sonntag hinein, atme durch, spüre den Schmerz und die Wut und manchmal auch die Hoffnung, weil ich weiß: ich bin mit solchen Gedanken doch nicht allein. Da muss ich auch denken an die heutige Lesung aus dem Buch der Könige, die in ihrer Symbolik so eindeutig wie so missverständlich ist. Ich fühle mich in den großen Propheten des Ersten Bundes hinein, der sich angesichts der Verwerfungen und eigener Schuldhaftigkeit in die Wüste zurück zieht. Dort will er sterben, weil er keinen Ausweg mehr sieht. Elia setzt sich unter einen Ginsterstrauch und schläft ein. Liebevoll kommt aber ein Engel, der ihn anrührt (!), zu ihm redet (!) und ihm zu trinken und zu essen gibt (!). Doch Elia schläft wieder ein und wieder kommt der Engel und wieder wird er angerührt und angesprochen und aufgefordert, zu essen und zu trinken. Mein Ginsterstrauch ist der Duft einer Latsche und auch den Engel gibt es.