Body and Soul und Buon Ferragosta: Zum Fest Mariä Himmelfahrt

Lebenserfahrungen feiern

Die extreme Hitze der letzten Tage lässt in der Vegetation bereits die Vorboten für das Ende des Sommers erspüren. Der Wind hat entlang der Innpromenade unreife Kastanien aus den Bäumen gefegt, in denen einige Blätter braun zu werden beginnen. In den Schaufenstern von so manchem Geschäft wird schon Herbstmode angepriesen. Prallvoll-rot hängen die Früchte an den Vogelbeerbäumen. Die Sonne kommt später und es wird merklich früher dunkel. Das Fest Mariä Himmelfahrt markiert stets einen Wendepunkt. In meinem Ursprungsheimatort wird Patrozinium gefeiert. Oft bin ich als Jugendlicher im Anschluss an das Hochamt auf den nahen Bergen unterwegs gewesen. Der Hohe Frauentag ist ein Fest von Gefühlen und Stimmungen, an dem Erinnerungen geweckt und mit meinem Glaubensweg verbunden werden.

Das katholische Hochfest von der „leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel“ am 15. August ist wie eine Matrix, durch die Erfahrungen, Informationen und Ideen miteinander verknüpft sind und auf kreative Weise helfen, die existenziell-theologische Befindlichkeit des Lebens zu begreifen. Zwei Aspekte des heutigen Festes sind es, bei denen wir bei den eigenen Lebenserfahrungen anknüpfen und unseren Glauben schärfen können. Erstens: Was bedeutet die bewusste sprachliche Festlegung im Dogma auf das Adjektiv „leiblich“? Zweitens: Was bedeutet „aufgenommen in den Himmel“? Damit verbunden ist auch die Frage, was eigentlich mit „Himmel“ verstanden werden muss.

Nicht gestorben, sondern entschlafen

Zunächst ist es notwendig, sich von heute oft unverständlichen bildhaften Vorstellungen zu lösen. Würden die Bilder fundamentalistisch-buchstäblich verstanden, bliebe der tiefere Inhalt verborgen oder würde er missverstanden werden. Wenn das Hochfest Mariä Himmelfahrt mit „unbefleckter Empfängnis“ und „Jungfrauenschaft“ in Verbindung gebracht wird, so entstehen in den Köpfen zu schnell Vorstellungen, als gehe es um eine biologische Jungfräulichkeit, was dann weiters mit sexueller Enthaltsamkeit assoziiert würde. Allein der Begriff „unbefleckt“ in Bezug zur Empfängnis Mariens durch ihre Mutter könnte leicht so missverstanden werden, dass die intimsten und tiefsten körperlichen Erfahrungen mit „Beflecktheit“ zu tun haben könnten. So manche Marien-Predigt an den Marienfesttagen haben den Inhalt, Maria als „reine Jungfrau“ zu sehen, die dann am Ende ihres Lebens auf wundersame Weise in himmlische Wirklichkeit entrückt wurde.

Die Legende am Fest Mariä Himmelfahrt besagt zunächst, dass Maria entschlafen – aber nicht gestorben sei. Also die Jüngerinnen und Jünger zu dem Ort kamen, an dem Maria entschlafen ist, fanden sie nur mehr Kräuter dort vor – so eine der Legenden. Maria sei dann von ihrem Sohn direkt in den Himmel aufgenommen worden. So kennt die Tradition auch keinen Todestag der Mutter Jesu und kein Mariengrab. Mit anderen Worten: Maria hatte gar keinen natürlichen Tod. Auch diese Aussage ist eine bildhaft-symbolische Sprachweise, die leicht gedeutet werden kann. Der Begriff „entschlafen“ deutet diese Wirklichkeit auch an. Menschen, die im Leben eine große Bedeutsamkeit hatten, entweder im Privaten oder Gesellschaftlichen, sind in einem übertragenen Sinne nicht „gestorben“.

In den Himmel aufgenommen

Wo und wann aber ist der Himmel, in den Maria aufgenommen wurde? Meist wird dieser räumlich und zeitlich fern der irdischen Wirklichkeiten verortet, in einem Jenseits, das nach dem irdischen Tod beginne.

Für mich ist vielmehr bedeutsam: Himmel ist jene Wirklichkeit, die im Heute des Lebens zu verorten ist. Sie hat auch mit Leiblichkeit zu tun. Damit sind wir wieder beim Mariendogma mit der Betonung von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel. Wir sollen Maria in ihrer Leiblichkeit wahrnehmen, weil damit auch unsere eigene Leiblichkeit ins Zentrum des Heilsgeschehens gebracht werden kann.

Leiblich ist auch körperlich

Der Begriff Leib weist uns auf die Einheit von Körper – Seele – Geist, weil Leib immer mehr besagt als eine körperlich-materielle Seite. Alle drei Dimensionen des Personseins werden in ihrer Bezogenheit aufeinander angesprochen. Im Dogma von der leiblichen Aufnahme hat die katholische Kirche damit dem Leiblichen – und eben damit auch dem Körperlichen – eine hohe Wertigkeit zugesprochen. Das ist ein so notwendiger Kontrapunkt zu körper-, leib- und lustfeindlichen Positionen vergangener Jahrhunderte, die sich durch bestimmte griechisch-römische Philosophien in der Lehre und Praxis der Kirchen breit gemacht hatten. Heute müssen wir sagen: Der ganze Leib – damit auch der Körper und wesentlich damit auch die Sexualität – wird in ein himmlisches Heilsgeschehen mithineingenommen.

Mit Bezug auf Maria von Nazareth, die allerorts an diesem Hohen Frauentag im Mittelpunkt steht, heißt dies. Ich darf sie mir vorstellen als eine jüdische Frau, die geliebt hat aber auch das Leid erfahren musste, wenn der Körper erniedrigt wird.

Himmelserfahrungen

In der gelingenden Erfahrung von Körper-Seele-Geist-Harmonie können wir eine Tiefe und Zufriedenheit erleben und erfahren, die wir theologisch als „Himmel“ bezeichnen und damit als Begegnungsraum mit dem Göttlichen. Dort, wo im Leben solche ganzheitlichen Erfahrungen verwehrt werden, gibt es andererseits die Erfahrung von Himmelsferne und es bleiben Hoffnung und Sehnsüchte nach einer „leiblichen Aufnahme“ in himmlische Wirklichkeiten. Diese sollen aber nie als Vertröstung für eine jenseitige Wirklichkeit fehlinterpretiert werden.

Die Heiligung des Leibes

Die Kräuterbuschen, die am Hohen Frauentag in den Kirchen gesegnet werden, erinnern duftend daran, dass es darum geht, dass unser ganzes Sein heil sein soll und die ganze Körperlichkeit und irdische Wirklichkeit in einen Erlösungsprozess im Jetzt des Himmels zur Erfüllung kommen können. Das wiederum ist ein politischer Auftrag: Überall dort, wo die Leiblichkeit von Menschen gefährdet ist, müssen wir als Christinnen und Christen aktiv werden. Das heißt, sich um jene Menschen zu kümmern, die arm, krank an Leib oder Seele oder unfrei sind. Das bedeutet der radikale Einsatz gegen Kriege und die Zerstörung des Planeten – und selbst nicht Teil solcher Zerstörungsprozesse zu sein.

Am Hohen Frauentag wird in den Kirchen als Tagesevangelium das Magnificat aus der Kindheitsgeschichte des Lukasevangeliums gelesen. Da wird programmatisch ganz klar die revolutionäre Seite der Maria, die so gar nicht zu all dem Kitsch, mit dem Maria in der Volksreligiosität meist in Verbindung gebracht wurde, zum Ausdruck gebracht. Es geht darum, dass die Reichen nicht noch mehr bekommen sollen, sondern die Verarmten Gerechtigkeit erfahren werden; dass die Verfolgten freigelassen werden; dass die Mächtigen ihre Macht verlieren, wenn sie nicht den Menschen dient. Für solche politischen Optionen steht im Evangelium Maria ibn Isa, Maria, die Mutter Jesu.

THEY CALL ME MAMA 

Im Mariendom in Linz findet anlässlich der Jubiläumsfeierlichkeiten – die größte Kirche Österreichs wurde vor 100 Jahren fertiggestellt – eine Ausstellungsreihe über die „Heilige Familie“ statt. Noch vor einigen Wochen hatte die Marienskulptur „Crowning“ für große Aufmerksamkeit gesorgt, nachdem sie mit brachialer Gewalt geköpft worden war. Die gegenwärtige Kunstintervention sorgt für weniger Aufmerksamkeit. Sie stammt von der Künsterlin Katharina Struber. Pinke Rohre winden sich um die Kanzel, verbinden den Innenraum des Mariendomes mit der Außenwelt, verbinden ein Oben und Unten. In den Trichtern der fünf Rohe können jeweils andere Botschaften gehört werden: Die Liste bedrohter Tier- und Pflanzenarten wird vorgelesen und erzählt von der Bedrohung der Schöpfung; in einem anderen Rohr werden Menschen genannt, die im Jahr 2024 bereits auf der Flucht nach Europa gestorben sind; ein anderes Rohr lässt aber auch feiernde Menschen hörbar werden. Angesichts vieler Bedrohungen braucht es eine MAMA, die fürsorglich und helfend eingreift, zu der Menschen in ihrer Not rufen können, eine MAMA freilich, die hier auf Erden wundersam und heilsam gegenwärtig sein kann in der Tatkraft und leiblichen Liebeskraft von Menschen.

Klaus Heidegger, Mariä Himmelfahrt 2024

(Bild: Kunstinstallation im Mariendom in Linz)

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