Im Mozarthaus in St. Gilgen an einem Samstagabend Ende August. Der Sommer hat seine ganze Wärmekraft entfaltet. Türkis-blau schmiegt sich der Wolfgangsee zwischen den bewaldeten Kalkbergen, zwischen denen manchmal eine Felswand lockend herausschaut. Fast kitschig wirkt alles. Das Mansardenhaus aus dem 18. Jahrhundert strahlt noch das Flair aus, als wären die Mutter von Mozart, die hier geboren wurde, und Nannerl, die später hier lebte, gerade ausgezogen. Weiße Boote segeln am See. Die Welt von Krieg und Gewalt scheint für Augenblicke weit weg zu sein. Das Massaker, das kaltblütig in Solingen verrichtet wurde, die wechselseitigen Bombardierungen zwischen Israel und den Terrorgruppen im Libanon, die Eskalationsspiralen im Krieg Russlands gegen die Ukraine. Im MoHa – so heißt nun das Mozarthaus in St. Gilgen – findet ein Konzert mit Lesung statt. Ein Streichquartett spielt „Die Geschöpfe des Prometheus“ von Ludwig van Beethoven. Dazu werden Texte aus dem Essay von „Prometheus in der Hölle“ von Albert Camus gelesen. Der mythische Held aus der griechischen Sagenwelt wird bei Camus zum Sinnbild für den Menschen, der der Welt das Erlösende bringen kann. Während die Streicher ihre Sinfonien spielen, geben sie jenem Sehnen in mir Raum, das Camus verdichtete und Beethoven in seiner Musik ausdrücken konnte. Beethoven träumte in seiner Zeit davon, dass die Kanonen schweigen, dass die Freiheit über die Knechtschaft siegen würde. Nicht weniger wollte Camus unmittelbar nach dem Schrecken des Zweiten Weltkriegs, dass die Menschen sich endlich ihrer Menschlichkeit besinnen würden. Die Menschen brauchen für ihr Freisein und ihre Entfaltung – so Camus – zwei Dinge: Brot und Heidenkraut. Letzteres steht für all das, was mit Kultur und Philosophie zu tun hat. Während die Geigen und die Bratsche miteinander im Spiel sind und Töne wie Wellen am Wolfgangsee sich aneinander wiegen, wandern meine Gedanken weg von den Höllensituationen unserer Welt hin zu Prometheus, der rebelliert gegen die Vergötzungen von Gewalt, der – obwohl selbst aus dem Geschlecht der Titanen – sich gegen den Krieg stellt, weil er als „Voraussehender“ weiß, dass jeder Krieg nicht gewonnen werden kann, oder hin zum Literaturnobelpreisträger Camus, für den jedes Mittel selbst das Ziel schon in sich haben sollte, für den das Gegenwärtige zählt und keine künftigen Verheißungen als Legitimation für gewaltsame Mittel sein könnten.
Die Nacht hat das Türkis-Grün-Blau des Wolfgangsees in ein tiefes Schwarz getaucht. Noch unfertig sind die Gedanken, denen ich später Gestalt geben möchte, noch unbeantwortet die Fragen, die doch nur rhetorisch gemeint sind und als solche zu verstehen sind: Was würden uns Spätgeborenen, die wir die Letzte Generation sind, die noch Auswege aus der Hölle der Erderhitzung schaffen könnte, Camus oder Beethoven wohl sagen? Wie könnten wir als Geschöpfe des Prometheus der Welt mit ihren apokalyptischen Tendenzen noch Hoffnung schenken? Jedes Leiden darf nicht sein, so Camus. Daher rechtfertigt auch kein Zweck ein Mittel. Ohne Revolte wird es nicht gelingen: Die täglich-alltägliche Revolte gegen all das, was die Schöpfung zerstört, was Menschen hindert, im Hier und Heute frei zu leben.
Die Nacht hat das Türkis-Grün-Blau des Wolfgangsees in ein tiefes Schwarz getaucht. Noch unfertig sind die Gedanken, denen ich später Gestalt geben möchte, noch unbeantwortet die Fragen, die doch nur rhetorisch gemeint sind und als solche zu verstehen sind: Was würden uns Spätgeborenen, die wir die Letzte Generation sind, die noch Auswege aus der Hölle der Erderhitzung schaffen könnte, Camus oder Beethoven wohl sagen? Wie könnten wir als Geschöpfe des Prometheus der Welt mit ihren apokalyptischen Tendenzen noch Hoffnung schenken? Ohne Revolte wird es nicht gelingen
Klaus Heidegger, 27. 8. 2024