Wen würde die Hl. Notburga wählen?

Wahlkabine für die Hl. Notburga

Natürlich ist diese Frage zwei Wochen vor den österreichischen Nationalratswahlen vermessen. Natürlich lebte die Dienstmagd nicht in einer Demokratie, sondern in einem mittelalterlichen Feudalsystem, in dem die Untergebenen – und gar die Frauen – schon gar nichts mitbestimmen hätten können. Notburga hatte keine Rechte. Sie war quasi eine Leibeigene der Adeligen auf der Rottenburg in der Nähe ihres Geburtsortes Rattenberg. Öfters war ich – als ich noch unterrichtete – als Lehrperson mit meinen Schülerinnen und Schülern dort und saß mit ihnen auf den Ruinenmauern der alten Burg, während wir die Bedeutsamkeit der Vita der einzigen Heiligen aus Tirol erarbeiteten, die in den Kanon der Heiligen der katholischen Kirche aufgenommen worden war. Im Jahr 1313 soll sie gestorben sein. Sie stammte aus einer Hutmacherfamilie in Rattenberg, wo heute noch ihr Geburtshaus steht, arbeitete dann als Dienstmagd auf der nahen Rottenburg, von der sie später vertrieben wurde, und danach als Magd bei einem Bauern in Eben am Achensee. Später wiederum, nachdem andere Herrschaften in die Rottenburg eingezogen waren, ist sie auf die Rottenburg zurückgekommen. Soweit ich die Legenden der Heiligen kenne, deren Gedenktag der 13. September ist, könnte ich für sie die „Wahlkabine.at“ ausfüllen – und ich ahne schon, welche Parteienaffinität Notburga haben könnte.

Zivilcouragierte Anwältin der Armen und Notleidenden

Notburga wurde erstens bekannt, weil sie immer auf der Seite der Ärmsten stand und ein Herz für ihre Not hatte. Wo Reichtum im Überfluss ist, begann sie zu teilen. Sie nahm jene Lebensmittel, die in der Burg zu viel waren, und verteilte sie an die Armen. In den Nationalratswahldebatten sprechen wir heute von Instrumenten wie Vermögensbesteuerung: weil 5 Prozent der heimischen Bevölkerung fast 50 Prozent des Vermögens in Österreich besitzen. Notburga wüsste, wie Umverteilung geschehen könnte, damit alle satt werden; sie würde handeln, ohne als Analphabetin selbst Worte wie „Sozialverpflichtung des Eigentums“ schreiben zu können. Sie wäre eine Proponentin für eine Food-Sharing-Ökonomie und für Zero-Waste-Initiativen. Dabei handelte Notburga nicht im Auftrag von oben, sondern handelte ganz nach ihrem eigenen Gesetz und ihrer Mitmenschlichkeit. Notburga war eine Heilige, weil sie grenzenlos die Armen liebte. Sie hat gezeigt, dass jedem Menschen eine unbedingte Würde zukommt, unabhängig von Herkunft oder Abstammung. Notburga kannte keine Angst, wenn es darum ging, mit den Armen das Brot zu teilen und den Wein zu trinken. Sie hat sich nicht abgeschottet vor der Not der anderen, wie sich heute Europa abschottet vor den Armuts- und Kriegsflüchtlingen. Notburga würde sicher nicht für eine „Festung Europa“ stimmen. Und dann geschah dieses Wunder vor 700 Jahren: Wenn geteilt wird, ist immer genug da. Notburga hat von dem gegeben, was sie übrig hatte. In diesem uneigennützigen Tun bewies sie Zivilcourage gegenüber dem mächtigen Großgrundbesitzer. Notburga war nicht wie die Girls aus dem Kultfilm „The Bling Ring“, die sich an Luxus, Marken und Stars orientieren. Ihre Orientierung war Jesus von Nazareth und seine Liebe zu den Armen. In Notburgas Schürze verbargen sich keine Designer-Stücke von Bulgar, Chanel, Rolex oder Versace, sondern Brot, das die Armen so bitter nötig hatten.

In diesem mitfühlenden und Not entdeckenden Sinne kann Notburga eine Inspiration für unser Wahlverhalten sein. Wer spricht angesichts von 376.000 armutsgefährdeten Kindern und Jugendlichen beispielsweise von einer Kindergrundsicherung? Damals wurde Notburga vom Schlossbesitzer in die Enge getrieben. Was sich in ihrer Schürze befände, hatte er sie angeherrscht. Sie wollte gerade Äpfel und Brote für die Armen bringen – doch als ihr Boss in die Schürze schaute, waren  nur Hobelspäne drin. Wunder geschehen, wenn Liebe am Werk ist.

Mutige Kämpferin für die Rechte der Arbeitenden auf Ruhe

Zum wichtigsten Attribut, um die Heilige zu erkennen, wurde die Sichel. Als sie einmal als Bauernmagd beim Kornschneiden weit über die Abendruhe hinaus das Korn schneiden sollte, widersprach sie ihrem Herrn und warf als Zeichen, dass Gott auf ihrer Seite stünde, ihre Sichel in den Himmel, wo sie an einem Sonnenstrahl hängen blieb. Heute würde Notburga gut zur „Allianz für den freien Sonntag“ passen, ein Bündnis verschiedener kirchliche Organisationen, die sich gegen eine Liberalisierung von Öffnungszeiten in den Geschäften aussprechen. Es braucht eben die Räume, die nicht einer kapitalistischen Verwertungslogik unterworfen sind, in denen Menschen frei atmen und leben können. Vielleicht würde Notburga dort, wo es möglich und sinnvoll ist, für eine Vier-Tage-Woche eintreten, damit die Arbeit auf alle besser verteilt wird, damit mehr Lebenszeit für Familie und Kultur ermöglicht wird.

Kluge Kämpferin für den Frieden

In ihrer letzten Lebensphase kam Notburga wieder zurück auf die Rottenburg. Zwischen den beiden Grafen Heinrich II. und Siegfried, denen die Burg gehörte, herrschte ein blutiger Bruderkrieg. Notburga hat uns auch gezeigt, wie Frieden gemacht werden kann. Sie gilt als große Friedensstifterin. Sie hat zwischen den verfeindeten Parteien vermittelt und gesagt: Gewalt und Hass sind der falsche Weg. Mit Blick auf die schrecklichen Kriege heute würde sich Notburga einsetzen im Bruderkrieg zwischen der Ukraine und Russland, würde nicht Ruhe geben, bis sich Selenskyi und Putin an den Verhandlungstisch setzen.

Klaus Heidegger, Festtag der Hl. Notburga, 13.9.2024

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.