Von binärer und nicht-binärer göttlicher Schöpfungs- und Liebesordnung

Von der Erschaffung des Menschen und der Tiere im zweiten Schöpfungsbericht

Die Lesungen im liturgischen Plan für den Sonntag am 6. Oktober 2024 sind aufeinander abgestimmt. Die Lesung aus dem Ersten Testament ist aus dem zweiten Schöpfungsbericht.

Im Buch Genesis Kapitel 2 wird bildhaft beschrieben, wie Gott den Menschen schafft. Es ist der ältere der beiden Schöpfungsberichte. In der Exegese spricht man vom Jahwisten als Quelle und ortet die Entstehungszeit zurück bis ins 9. Jahrhundert vor Christus. Wir sind also bei diesen Worten in den ältesten Schichten der biblischen Schriften. Für das jüdische Volk und damit auch für Jesus und seine Bewegung hatte dieser Text große Bedeutung, weshalb in den Evangelien darauf öfters Bezug genommen wird. Es sind viele Aspekte, die mich politisch, kulturell und persönlich ansprechen.

Beschrieben wird ein fürsorglicher und menschenfreundlicher Gott. Nachdem der Mensch von ihm geschaffen worden war, will Gott schließlich auch, dass es ihm gut gehe. Vor allem soll er nicht allein sein. Der Mensch braucht eine Hilfe. Daher schafft Gott alle Tiere und gibt sie in die Verantwortung des Menschen. Indem der Mensch ihnen einen Namen gibt, macht er sich zu ihrem Beschützer.

In dieser einfachen Darstellung liegen so viel Weisheit sowie Ansprüche für das Mensch-Tier-Verhältnis. Gott spürt, so der jahwistische Schöpfungsbericht, dass der Mensch mehr braucht, mehr Hilfe, mehr, um nicht allein zu sein. In der alttestamentlichen Bilderwelt kommt nun die Geschichte mit der Rippe Adams, aus der Gott eine Frau modelliert, ganz dem Manne ebenbürtig – wie es ausdrücklich heißt. Schon in diesem ältesten Text der Bibel ist also nicht von einer Ungleichheit zwischen Mann und Frau die Rede. Mit anderen Worten: Jede Unterordnung von Frauen unter Männer ist im Widerspruch zum biblischen Schöpfungsauftrag. Statt Rippe würde man heute vielleicht von Chromosomenpaaren sprechen oder von Östrogen- und Testosteronhormonen, die über die Geschlechtlichkeit des Menschen entscheiden.

Heute – im Licht der Humanwissenschaften, getragen von psychologischen, philosophischen und theologischen Erkenntnissen – würden wir diesen alten Text noch ergänzen mit der Tatsache, dass die Geschlechterbestimmung wesentlich bunter ist, dass männliche und weibliche Eigenschaften in jedem Mann und in jeder Frau in unterschiedlichen Ausprägungen zu finden sind, dass es auch mehr als nur den Mann und die Frau gibt, mehr als nur eindeutig männlich und eindeutig weiblich, dass es also eine binäre und eine nicht-binäre Geschlechtlichkeit gibt, dass weiters Liebe und Partnerschaft auch zwischen Mann und Mann und Frau und Frau als göttliches Geschenk erlebbar werden kann. Mit anderen Worten: Nach den jahrhundertealten Diskriminierungen von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften können wir heute betonen, dass Gott auch Mann und Mann und Frau und Frau in Liebe verbinden kann und dass es zugleich auch Menschen gibt, deren Geschlecht nicht so eindeutig in ein xx- oder xy-Schema passt. Nur biblische Fundis und ihre politischen Epigonen in den rechtsextremen Parteien, die so gerne von „Genderwahn“ sprechen und aus ihrer Verachtung von Minderheiten politisches Kapital schlagen wollen, werden die biblischen Berichte so deuten, dass es nur Mann und Frau gibt und dass es geschlechtliche Verbindungen nur auf heterosexueller Ebene geben darf. Auf die Bibel jedenfalls können sich solche homophoben und transphoben Kräfte nicht berufen.

Von Ehe und Trennung im Markusevangelium (Mk 10,2-16)

Die Stelle aus dem Markusevangelium, in der von der Ehescheidung die Rede ist, nimmt direkt Bezug auf den biblischen Schöpfungsbericht. Jesus grenzt sich von einer fundamentalistischen Gesetzesethik ab, die die Buntheit göttlicher Beziehungsmöglichkeiten eingrenzt. Keinesfalls darf aber, so die sozial-historisch wichtigste Interpretation, ein Mann einfach seine Frau „stehen lassen“, wie dies in einer gewissen Art und Weise von manchen Männern in der damaligen Gesellschaft interpretiert worden ist. Was typisch für Jesus und seine Bewegung ist: Er nimmt die Frauen in Schutz. Um diesen Schutz ging es auch im angesprochenen Scheidungsbrief, den laut dem Buch Deuteronomium ein Mann im Falle einer Scheidung ausstellen musste, damit sie überhaupt die Möglichkeit zu einer Wiederverheiratung hatte, was für ihre eigene Existenzsicherung überlebensnotwendig war. Der Scheidungsbrief war also Schutzbrief für die Frau und eben nicht ein Freibrief für machohafte Überheblichkeiten.

Trennung und Neubeginn

In der angesprochenen Passage aus dem Markusevangelium geht es nicht darum, was die Kirche daraus gemacht hat und in der katholischen Kirche bis zum heutigen Tag von streng konservativen Kreisen behauptet wird: Das Verbot jeder Ehescheidung. In einer solchen Verbotsmoral wird nicht Rücksicht genommen auf die Lebenssituation, in die Paare geraten können, in der eine Trennung oder ein Loslassen mehr dem göttlichen Prinzip der Barmherzigkeit entsprechen könnten als ein stures Festhalten am ehelichen Bund. Würde die katholische Kirche ihre veralteten Grundsätze des Katechismus umsetzen, dann wären längst schon mehr als ein Drittel aller Gläubigen von den Sakramenten ausgeschlossen. Es ist daher an der Zeit, dass sich die katholische Kirche mit ihrem Eherecht ändert, was in der pastoralen Praxis längst schon gelebt wird: Dass geschiedene Menschen nicht mehr als „sündig“ angesehen werden, wenn sie neue Beziehungen leben.

Jesus warnt in dieser Stelle ausdrücklich vor einem „pharisäerhaften“ – gemeint ist ein gesetzesrigoroses – Verhalten. Jesus lehnt ausdrücklich eine „Hartherzigkeit“ ab. Was es in jeder Trennungssituation braucht, ist Versöhnung und nicht wechselseitiges Schuldzuschieben, ist Heilung und nicht Verurteilung. Gerade in Trennungssituationen ist göttliche Geistkraft gefragt.

Ehe als Sakrament der Liebe

Die Sakramentalität ehelicher Beziehungen als Realsymbol für göttliche Liebe wird nicht durch eine Trennungsmöglichkeit weggenommen. Ehe bleibt dabei mehr als nur ein „weltlich Ding“, wie es Martin Luther nannte. Eine Ehe kann freilich auch enden, wenn die Liebe in ihr verschwindet, manchmal einseitig, wenn eine den anderen nicht mehr unterstützen will, sondern seine oder ihre eigenen Wege gehen möchte oder wenn Ansprüche an die Partnerschaft nicht erfüllt werden. Vielleicht sollte man dann weniger vom „Scheitern“ sprechen, das mit so viel negativen Konnotationen verbunden ist, sondern davon, dass ein neuer Lebensweg begonnen wird, versöhnt mit einer Zeit, die vorbei ist, versöhnt auch deswegen, weil keiner der Partner in ungerechte Verhältnisse abgedrängt wird. Vielleicht auch, so darf gedacht werden, kann auch in diesem neuen Lebensweg für beide ein Segen liegen. Eine solche Sichtweise freilich erscheint immer noch als Tabubruch, obwohl in unserem Land mehr als jede 3. Ehe bereits geschieden wird.

Biblische Vorgaben

Die einzelnen Aussagen zur Ehe in den biblischen Schriften bedürfen einer genauen Interpretation. Sie müssen zunächst historisch-kritisch verortet werden. Vor allem kann das Institut der Ehe in israelitischer Zeit nicht mit Ehe von heute gleichgesetzt werden. Damals war eine Ehe nicht vorrangig eine Liebesehe. Sie wurde meist arrangiert von den Vätern und zwischen den Familien. Oftmals wurde eine solche Ehe schon in Kindeszeit vereinbart. Frauen waren dann fast wie ein Eigentum des Mannes, wie das 10. Gebot im Dekalog anklingen lässt. Daher brauchte die Frau auch einen besonderen Schutz, wie er im Buch Deuteronomium vorgegeben ist. Über jeder Gesetzeskasuistik steht in der Botschaft Jesu stets das Kriterium von Liebe und Barmherzigkeit. Eine starre Gesetzesfrömmigkeit wird von ihm abgelehnt. Wenn Jesus in einem anderen Zusammenhang davon spricht, dass der Sabbat für den Menschen da ist und nicht umgekehrt, so können wir analog formulieren, dass die Ordnung der Ehe für die Liebenden da ist und nicht die Menschen für eine bestimmte Ordnung.

Vor allem gilt aber, dass Menschen, die in oft schmerzlichen Trennungssituationen sind, spüren, dass Gott sie durch tröstende Menschen begleitet, dass ein Neuanfang in manchen Situationen Segen bedeuten kann. Niemand soll sich im Fall von Trennungen beschämt fühlen müssen.

göttlich verbunden und versöhnt

wenn Gott ist Liebe
so sagen es die heiligen Schriften
wenn Liebe ist Gott
so die Gleichung andersherum

dann führt Gott=Liebe zusammen
dann ist Gott das Verbindende
dann stärkt Gott das Verbundene
so die göttliche Logik

wenn Gott ist Versöhnung
so sagen es die heiligen Schriften
wenn Versöhnung ist Gott
so die Gleichung andersherum

dann will Gott=Versöhnung
dass Getrenntes nicht schmerzlich trennt
dass Wunden der Trennung heilen
so die göttliche Logik

klaus.heidegger, 6. Oktober 2024
(zum Bild: in der Kirche St. Petrus Canisius war gerade in einer großen Bibel dieses Bild aufgeschlagen, als ich über die Sonntagslesungen nachdachte. Wie passend, dachte ich.)

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