Wo wohnt Gott? Kirchenräume anders beleben

„Gott wohnt nicht mehr hier“ – so die Headline in der Tiroler Tageszeitung vom 11.8.2024. Im ganzseitigen Artikel, bestens platziert auf Seite 3, geht es um die neu aufgeworfene Frage, wie wenig genützte Kirchengebäude auch hierzulande anders verwendet werden könnten als für Gottesdienste und Gebet. Als Theologe stolpere ich sofort über die Aussage, dass dann Gott nicht mehr in diesen Gebäuden wohne. Eine meiner Lieblingsfragen im Religionsunterricht war: „Wo ist dir zuletzt einmal Gott begegnet?“ Die Antwort der Schülerinnen und Schüler war dann meist nicht: „In der Kirche.“ Die Wohnung Gottes ist dort, wo Menschen einander liebevoll begegnen – daheim am Küchentisch, im Klassenzimmer, bei einer Demo, am Fußballplatz, in der Natur bei einer Bergtour, im Krankenhaus oder im Haus der Senioren – die Tausenden Orte des Alltags. Die wunderschöne Pfarrkirche Petrus Casinius in meiner unmittelbaren Nachbarschaft ist nicht oft besucht. Ich spüre irgendwie Gott bei den jungen Menschen, die an schönen Tagen zuhauf in Kirchennähe an der Ufermauer des Inn sitzen, miteinander essen und trinken, oder im nahen Park über Slacklines balancieren. Die Kirchenräume sind dann jene Orte, wo im Miteinander-Feiern die vielen Gottesbegegnungen verdichtet werden könnten. Gott wohnte so im lebendigen Feiern, im gemeinsamen Hören auf die Worte der Bibel, im Vollzug der Sakramente, im Gebet und im Singen der Gläubigen. Die Kirche als Organisation verliert aufgrund ihres medial konstruierten öffentlichen Erscheinungsbildes einerseits und durch „hausgemachte“ überholte strukturelle Defizite bezüglich Gendergerechtigkeit mehr und mehr Mitglieder. Eine authentische Kirche, in der Männer und Frauen gleichberechtigt sind, in der eine Sprache gesprochen wird, die auch junge Menschen verstehen, weil sie mit ihrer Alltagswirklichkeit zu tun hat, in der sich Göttliches in ganzer Buntheit ereignet, eine Kirche, die auf Seite der Verarmten und der Gewaltfreiheit steht, eine solche Kirche könnte wieder neu die Kirchenräume zu lebendigen Orten werden lassen, wo Gott wohnt. Dann könnte vor allem ein bestimmtes Kirchengebäude, dessen Architektur ganz schnörkellos und lichtdurchflutet den Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils atmet, selbst ohne Boulderwände wieder neuen Schwung erhalten.

Dr. Klaus Heidegger, 11. Oktober 2024
6020 Innsbruck, Fischnalerstr. 21/D/4

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