Zwischen dem gezogenen Schwert der Bavaria und dem Zepter Mariens

Ein 13. Oktober

Abendoktobersonne lässt die vergoldete Marienstatue hoch oben auf der Mariensäule am Marienplatz noch goldener erscheinen. Es ist ein 13. Oktober, ein Datum, das in der katholischen Tradition mit dem Sonnenwunder von Fatima besetzt ist. Für alle, die an besondere Wunderphänomene denken, für alle, die glauben, dass mit der Kraft von Gebeten die Gesetze der Natur außer Kraft gesetzt werden könnten, dass Gott – und eben auch Maria – physikalisch-medizinische Begrenzungen übernatürlich durchbrechen könnten, für diese Menschen ist der 13. Oktober ein besonderer Feiertag. Fatima und damit der 13. Oktober sind zum Epizentrum erzkatholischer Ideologie geworden, die ambivalenter nicht sein könnte. Wer Religionen allgemein und die katholische Kirche insbesondere als im Widerspruch zur Wissenschaft definiert, findet in Fatima und ihren Wirkungsgeschichten genügend Bestätigung.

Maria im räumlichen Zentrum von München

Mit solchen Gedanken stehe ich am 13. Oktober im Herzen der Stadt München. Die Marienstatue, wie sie da auf der Säule thront mit Zepter und Krone, auf einer Mondsichel stehend und ihr ebenfalls bekröntes Jesuskind spielend leicht in ihrer Linken, ist keine Erscheinung, sondern gebildet mit menschlicher Hand und menschlicher religiöser Phantasie. Was würde Maria wohl heute sagen, kletterte sie die Marmorsäule hinunter und könnte zu den Menschenmassen reden, die sich da am Sonntagabend zum Hören des Glockenspiels und zum Bummeln in der Fußgängerzone treffen? Was würde Maria dem CSU-Chef Markus Söder sagen, der gerade eben sprach von einem harten Asylkurs, der straffällig gewordene Asylsuchende zurück in die Gefängnisse ihrer Heimatländer schicken möchte, „egal wie schrecklich dort die Zustände sind“? Die Flüchtlingsfamilie Josef-Maria-Jesus wäre wohl an der Obergrenzenpolitik Söders gescheitert, wäre dieser Regent damals in Palästina gewesen. Die Politik des bayrischen Ministerpräsidenten passt zum gezogenen Schwert der Bavaria, die vor der Ruhmeshalle und der Theresienwiese als säkulare Patrona Bayerns in Form eine Kolossalstatue der Stadt und dem Freistaat einen gewaltbereiten Herrschaftsstempel aufdrückt. Maria hält in ihrem Arm jenen Menschen, der zum Gewaltverzicht und zur Feindesliebe aufrief. Söder heute fordert noch mehr Waffen für das eigene Land und die Ukraine und möchte die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht.

Fahnen am Rathaus

Die Abendsonne beleuchtet das Neue Rathaus mit seiner prächtigen neugotischen Südfassade. Die bunten Blumendekorationen an den unzähligen Balkonen und Erkern wirken in diesem Licht noch kräftiger und die Figuren und Statuen werden durch den schrägen Lichteinfall akzentuiert. Touristen warten auf das tägliche Glockenspiel vom Rathausturm. Manche Menschen habe die Medaille vom Münchner Marathon um ihren Hals baumeln. Hier war Kilometer 35 und es liefen noch vor einigen Stunden die 25.000 Marathonis ihrem Ziel im Olympiapark entgegen. Auf den wohl mit KI-Technik kreierten Plakaten des Generali-Marathons war im Zentrum eine stilisierte Darstellung der Bavariastatue mit Schwert, Eichenkranz und Löwe. Bavaria nicht Maria.

Westlich vom Turm des Rathauses wehen drei Fahnen im herbstlichen Wind: Die weiß-blaue Fahne Israels mit dem Davidstern, daneben die Fahne mit der Aufschrift „Mayors for Peace“ und ganz links die blau-gelbe Fahne der Ukraine. „Netanjahu will UN-Einrichtungen auf israelisch-palästinensischem Gebiet entfernen“ – so titelt eine Sonntagszeitung, die in einer Zeitungsbox am Platz schräg gegenüber von der Israelfahne sich befindet. Nein, ich habe nichts gegen das so deutliche offizielle Statement der Stadt München für den Staat Israel an einem Platz, der auch eine schreckliche Geschichte mit der Nazi-Diktatur hat, an einem Haus, wo im November 1938 eine der schlimmsten antisemitischen Brandreden die Reichspogromnacht auslöste.  „Was fehlt aber an dieser Fassade?“, so frage ich meinen Begleiter und er kennt mich und er weiß schon, dass meine Frage von rhetorischer Qualität ist. „Mir fehlt die Fahne Palästinas“, sage ich. Die israelische Flagge neben der palästinensischen – das wäre eine echte Friedensgeste, das wäre eine positive Provokation für den Frieden, das wäre ein Bekenntnis zu einer Zweistaatenlösung, das wäre ein Signal, dass auch das palästinensische Volk ein Existenzrecht hat. Mich stört auch nicht die Fahne der Ukraine als solche. Auch die Ukraine hat ein Existenzrecht und jede militärische Machtpolitik des russischen Staates ist gegen ein solches Recht. Was wäre aber, wenn nun neben der ukrainischen Fahne auch jene weiß-blau-rot Gestreifte wäre, die für Russland steht, dessen Menschen so gerne in Frieden und Sicherheit leben möchten. In den Nachrichten von heute und gestern war neuerlich von Kriegshandlungen zwischen der Ukraine und Russland zu lesen und zu hören. Es sterben in diesem so verbrecherisch, sinnlosen Abnützungskrieg täglich neu so viele Menschen. Aber am politisch klügsten wäre es, auf all die ambivalenten Staatsfahnen zu verzichten – und sie mit einer weißen Friedensfahne und der Aufschrift NO WAR und einer regenbogenbunten Friedensfahne auszutauschen.

Rund um den Sockel der Mariensäule sind vier wehrhafte Engel. Wie Bavaria haben sie die Schwerter gezückt. Sie vernichten das Böse – auch den Krieg. Aus meiner Perspektive sehe ich genau zwischen dem Schwert von einer der barocken Figuren und der Säule die blau-gelbe Fahne der Ukraine. Wie ein Kippbild kann die Allegorische Figur benützt werden. Im Sinne vom proklamierten Siegesplan Selenskyis – der russische Bär wird dann zum Drachen, der vom Engel erstochen wird. Wie sehr wünschte ich mir andere Darstellungen, die dem gewaltfreien Charakter der heiligen Schriften entsprächen: Dann würde einer der Engel den Drachen zähmen, wie es die Hl. Margaret tat und dann würde ein anderer den Löwen im Stil des Hl. Ägidius zu seinem Begleiter erwählen. Maria hoch oben auf der Spitze der Säule würde sich wohl freuen.

Rosenkranzgebet am Marienplatz

Die Begrenzungen für den Marathon werden abgebaut. Schon werden vor der Mariensäule neue aufgebaut. Ein öffentliches Rosenkranzgebet mit dem Kardinal und Erzbischof von München wird bald stattfinden. Es ist ja der 13. Oktober. Was bedeutet Maria mit Blick auf die Amtsausübung des bayrischen Kirchenchefs? Reinhard Marx zählt zu den wenigen Bischöfen, die offen für das Frauendiakonat Stellung genommen haben. Jeder Schritt für Gleichberechtigung passt jedenfalls zur Verehrung Mariens. Reinhard Marx scheute sich auch nicht, sich in wesentlichen politischen Streitthemen wie dem Asylrecht gegen den Ministerpräsidenten zu stellen. Ob beim Lobpreis am Marienplatz aber mehr als persönliche Zeugnisse und Ave-Maria-Gebete sein werden, ist wohl fraglich.

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