Der ukrainische Staatschef – ich weigere mich zu schreiben „die Ukraine“ – fordert unermüdlich überall dort, wo er im Kreise westlicher Staatschefs die Gelegenheit hat, nach noch mehr Waffen, noch besseren Waffensystemen und noch mehr Munition. Um seinen „Siegesplan“ umzusetzen, sollen Ziele auf russischem Staatsgebiet mit weitreichenden Raketen auch aus dem Westen beschossen werden können. Sein „Plan“: Damit soll in Russland ein „Hass“ auf den kriegsführenden Präsidenten Putin genährt werden.
610.000 russische Soldaten sind seit Kriegsbeginn gestorben oder so schwer verwundet worden, dass sie nicht mehr einsatzfähig sind. 20.000 getötete Soldaten soll es auf ukrainischer Seite geben. Die angeführte Zahl der getöteten Bayern auf dem Sockel des Obelisken am Karolinenplatz erscheint dagegen mickrig. Offen spekuliert Selenskyi damit, mit einem Schrecken für die russische Bevölkerung Putin zu schwächen. So soll eine Politik genährt werden, die letztlich das Sterben und das schreckliche Verstümmeln von Tausenden in Kauf nimmt. Die Kriegsstrategie der „verbrannten Erde“ ist zweihundert Jahre nach Napoleon auch heute noch mit Blick auf die zerstörten Städte der Ukraine oder russischer Dörfer rund um Kursk, vor allem aber mit Blick auf die Ruinen in Gaza oder zerbombter Dörfer an der libanesischen Grenze als grausame Kriegsstrategie geblieben.
Bei einem Spaziergang durch München stoße ich auf Orte, in denen sich die Kriegsgeschichte Deutschlands ein sichtbares Zeichen gegeben hat. Man hätte längst aus diesen schlimmen Daten der Vergangenheit lernen können. Mit Blick von einem Heute ins Gestern erweisen sich all die Kriege und kriegerischen Eroberungen wir dumme, unvernünftige, sinnlose und vor allem grausame Phänomene, die so leicht hätten vermieden werden können.
Der mächtige schwarze Obelisk an einem der Hauptplätze von München erinnert allerdings fatal, dass die herrschende Politik aus den Fehlern der Vergangenheit nicht zu lernen bereit ist. „Den 30.000 Bayern, die im russischen Krieg den Tod fanden.“ So steht es auf einer der schwarzen Bronzeplatten am Fuß des Obelisken. Erinnert wird an den napoleonischen Eroberungskrieg gegen Russland im Jahr 1812, an dem die Bayern mit einem Aufgebot von 35.000 Soldaten teilnehmen mussten. Zurückgekommen sind davon 5.000. Der Feldzug wurde zum sinnlosen Gemetzel. Von der napoleonischen Grand Armee mit fast 500.000 Soldaten überlebten nur 20.000. Im Andenken an die 30.000 Soldaten allein auf bayrischer Seite wurde 1833 der Obelisk von König Ludwig I. errichtet. An diesem Tag mit den schrecklichen Nachrichten im Ohr erscheint mir dieses Monumentalwerk nochmals mehr wie ein Stachel, der in das Fleisch des Himmels zieht. 1812 waren für Napoleon und die mit ihm Verbündeten „die Russen“ böse, die man zu bezwingen hatte. Eigentlich ging es dem französischen Kaiser aber nur um Machterweiterung durch neue Gebietsgewinne. Napoleon wollte der einzige starke Kaiser in Europa sein. Ein Zar im Osten seines Reiches passte nicht in seine Herrschaftsideologie. Ich gehe um die Säule herum: „Auch sie starben für des Vaterlandes Befreyung“. So steht es auf einer anderen Platte am Fuß des Obelisken. Sie ist mit Widderköpfen, den Symbolen des römischen Kriegswesens und Girlanden aus Eichenlaub verziert. Die getöteten Soldaten von damals wurden zu Helden stilisiert – wohl auch, um daraus eine Ideologie zu kreieren für Soldaten im Heute, die gegen die Russen von heute kämpfen. Da ist es egal, wenn aus einem Eroberungskrieg ein Befreiungskrieg wird. Man würde heute wohl von Verschwörungsmythen sprechen oder von „alternativen Fakten“, um einem wahnwitzigen Krieg die Legitimation zu geben. Wer Krieg führen möchte, wird immer Gründe sich schaffen, wird den Gegner dämonisieren und sich selbst für einen heldenhaften Kampf stilisieren. Es waren 1812 die Truppen Napoleons, gefüttert mit deutschen Soldaten, die Krieg gegen Russland führten, die Stadt Moskau niederbrannten und schreckliche Gräuel verübten. Die Art und Weise, wie in Moskau heute Putin auftritt, erinnert mehr an Napoleon als an einen Zaren. Die Schlachtfelder von heute erinnern an jene Schlachtfelder vor 200 Jahren und sind sich geographisch ganz nahe. Wann endlich zieht Vernunft ins weltpolitische Geschehen ein und heißt es: Krieg darf um Himmels willen nie wieder sein! In diesen Kriegszeiten und der Dämonisierung von allem, was irgendwie mit Russland zu tun hat, ist ein Blick in die russische Geschichte hilfreich. Ich denke an Lew Tolstoi. Als Jugendlicher konnte ich „Krieg und Frieden“ lesen und damit etwas von den napoleonischen Kriegen erahnen, die über die Andreas-Hofer-Geschichten hinausgehen. Das Erschrecken über die Kriege machte aus Lew Tolstoi einen Pazifisten. Fundamental kritisierte er das Prinzip der Vergeltung durch Gewalt und Zwang. Gerade heute könnten wir von seiner Theorie der organisierten, gewaltfreien Nicht-Zusammenarbeit mit Aggressoren und Gewalttätern lernen, von Strategien, die zur Entfeindung und nicht zu einer immer neuen Gewalteskalation führen.