Rotbraune Blätter bedecken den Steig – so als hätten die Bäume einen roten Teppich vor meinen Füßen ausgebreitet. Im Dunkel des Herbstmorgens ist Aufbruch. Am Himmel scheint noch der satte Mond und zwischen den Bäumen beleuchtet er schwach den Boden. Mit jedem Meter Höhe werden die Motorengeräusche der Stadt leiser. Rot-orange werden die Schleierwolken im Osten. Der Himmel gleicht den Klimastreifen der Wissenschaft, mit denen die Erderhitzung dargestellt wird: vom dunklen Blau im Westen bis zum kräftigen Rot im Osten. Die Farnpflanzen entlang des Weges sind rostbraun. Ein paar Vögel zwitschern, so als wäre Frühling. Eine noch kleine Blindschleiche windet sich über den Steig. Die aufgehende Sonne verwandelt die Laubbäume, als würden sie im Feuer brennen. Über dem Inntal liegt wie ein dünner Schleier grau-nebliger Dunst von all den Abgasen, mit denen selbst an einem Sonntagmorgen Menschen ihre Luft vergiften. Auf den Bergen im Süden Innsbrucks liegt nordseitig noch Schnee. Die steilen Südhänge der Nordkette sind wieder schneefrei. Tiefblau wird der Himmel, rötlich-grün sind die Grashänge mit den weißen Wettersteinkalkfelsen dazwischen. Ab der Bodensteinalm ist der Blick frei geworden. Die Glocken der Kirchen in der Stadt rufen zu Gottesdiensten. Immer weniger Menschen werden ihnen wohl folgen. Der Steig hinauf zur Gleirschscharte geht entlang der steilen Flanken. Zwei verwegene junge Männer kommen von der Seegrube und haben ihre Bikes auf die Schultern genommen. Eine Herde von Gämsen springt über den Abhängen. Vorsichtig sind meine Schritte. Vor etwas mehr als drei Monaten ging ich den gleichen Weg, alleine, über Henry David Thoreau und Friedrich Nietzsche philosophierend. Heute tut es so gut, nicht alleine zu sein. Auf der Scharte weht kräftiger Föhnwind. Wunderbar akzentuiert mit kräftigem Licht-Schatten-Spiel sind die Felswände des Karwendels im Süden. Am Goetheweg hinüber zum Hafelekar sind schon die Stahlseile abmontiert worden. 8 Kilometer und 1721 Höhenmeter sind vorbei. Die Bergstation windet sich mit ihrem weißen Gemäuer sanft ansteigend auf die Hafelekarscharte, wo sie mit einem Rundbau endet. Immer wieder bestaune ich dieses architektonische Meisterwerk. In der frisch renovierten denkmalgeschützten Gaststube atmet jedes Detail – das schwere Holzmobiliar, die Tische und Stühle und selbst die Lampen bis zu den hölzernen Müllbehältern – den gleichen Stil der Moderne der Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts. In der Gondel hinunter ist der wohl berühmteste norwegische Skirennfahrer, umringt von Kameramenschen, die einen Dreh mit ihm in dieser imposanten Kulisse machten. Er scheint es gewohnt zu sein, als weltberühmter Star Aufmerksamkeiten auf sich zu ziehen. So verbinden sich in einer Gondel Gegenwart und Vergangenheit, Natur und Technik, Menschen aus unterschiedlichen Kontinenten, Bergsteigende und Menschen, die mit den aktuellen Modegewändern von Kopf bis Fuß ausgestattet sind. In einer Welt, die zerrissen ist, tut es gut, Verbindungen zu erspüren; in einer Welt, in der rechtspopulistische Kräfte die Gesellschaft zerreißen, brauchen wir Einheitserfahrungen.