Herbstliches Gipfelsammeln zwischen Senderstal und Fotschertal

Der Bergrücken zwischen Senderstal im Osten und Fotschertal im Westen in Greifnähe zu Innsbruck ist mir vertraut. Den Weg hinauf über die Salfeinsalm zum Salfeinssee kenne ich auswendig. Das Bergsteigen hier ist mir wie ein Gebet, das öfters wiederholt wird, und dennoch in den Wiederholungen nicht langweilig, sondern nur tiefer wird, oder wie Worte der Verliebten, die sich immer wieder sagen, „ich liebe Dich“, und nie müde beim Wiederholen der Worte werden. Die zerfallene steinerne Almhütte auf der Salfeinsalm ist immer noch zerfallen, der Brunnen vor der Alm plätschert gleich wie im Sommer, als ich zuletzt hier war. Auch die eindrucksvolle Kette der schroffen Gipfel der Kalkkögel, die sich im kleinen See auf Salfeins so eindrucksvoll spiegeln – ein fotographischer Höhepunkt aus Tirol – ist mir vertraut. Die Lärchen sind jetzt im Herbst kräftig orange geworden und heben sich feurig vom tiefblauen Himmel ab. Jeder Grasbüschel wird durch die schräg einfallende Sonne akzentuiert. Je höher es hinaufgeht, desto mehr Gipfel tauchen rundherum auf. Der Blick reicht im Norden vom Wilden Kaiser über das Karwendel und das Wettersteingebirge mit der Zugspitze bis weit im Westen zu den Lechtaler Alpen. Weiter hinten im Süden sind die vergletscherten Gipfel der Stubaier Alpen. Unser Steig geht von Salfeins weg stets direkt am Grat. Die Herbstsonne strahlt in unser Gesicht, als wäre es schon Abend im Sommer. Die Gratwanderung ist wie ein Gipfelreiten. Vier Gipfel haben Namen und sind mit einem Kreuz geschmückt: Grieskogel – Breitschwemmkogel – Angerbergkopf – Schafleger. Die gegenüberliegenden Kalkkögel rücken immer näher. Vom Kreuzjöchl gehen wir dann den Steig hinunter ins Senderstal, hinaus zur Kemater Alm und dann den rauschenden Bach entlang zurück zum Ausgangspunkt. Uns begegneten an diesem Tag nur wenige Menschen – und jede dieser Zufallsbegegnungen bleibt: Der Mann mit einem weißen Schäferhund, der bestens trainiert an seiner Seite ging; die beiden jungen Mütter mit den Kleinkindern beim See, die so ein glückseliges Bild gaben; die jungen Frauen, von denen mir eine etwas verlegen und doch stolz ihre „narrischen Schwammerln“ zeigte, die sie gerade gefunden hatte. Wir hatten Zeit zum Reden und Staunen und ich konnte vergessen, dass außerhalb von diesem Paradies so viel Elend und Zerstörung ist.

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