Die Route kannte ich, dennoch wurde sie wieder neu erlebt, war es wieder ein neues Ertasten mit neuen Stimmungen. Das besondere Erleben hängt wohl wesentlich auch mit Menschen zusammen, die mir auf meinen Wegen als engelhafte Begleitung geschenkt sind. Die Route über die westlichen Gipfel am Achensee startet in Achenkirch am Nordufer des Achensees. Ein gelbes Schild weist von Beginn an den Weg zum ersten Gipfel, der Seekarspitze (2053 m). Drei Stunden sind dafür angeschrieben. Ein schwarzer Punkt am gelben Schild zeigt die Schwierigkeit an. Der Wald duftet feuchtkalt nach Herbst. Verlassen wirkt die Alm. Die Kühe sind längst schon auf die Felder und in die Ställe im Tal gebracht worden. Im feuchten Almboden sind noch ihre Hufenabdrücke. Vor uns breitet sich bald nach der Alm das wunderbare Panorama mit dem See aus. Er gleicht einem Fjord und liegt rund 1000 Höhenmeter tiefer und strahlt in der morgendlichen Herbstsonne silbrig. Der Steig ist gut markiert und verlangt an manchen Stellen Trittsicherheit. Kräftiger Föhn bläst am Grat. Das Rundumpanorama ist beeindruckend: Die Gipfel des Rofan und des Kaisergebirges im Osten, die Gipfel des Karwendel im Westen und weit dahinter die Zugspitze. Die Tour verdient es zurecht, in vielen Beschreibungen als eine der schönsten der Ostalpen genannt zu werden. Unschwer ist die Überschreitung am Kamm zur Seebergspitze. Dieser Gipfel ist mit 2085 m fast gleich hoch wie die Seekarspitze. Den Abstieg wählen wir über den Pasill-Sattel zur Pasill-Alm und von dort auf einem Forstweg zurück zur Seekar-Alm. Die Szenerie ist heute geprägt von den kräftigen Farben des Herbstes. Goldbraun sind die steilen Wiesenflanken, tieforange die Lärchen, kräftig blau der Himmel – und alles wird akzentuiert durch das schräg einfallende Licht einer Sonne, die es kaum mehr über die Bergkanten schafft. Auf der Seekar-Alm hat der freundliche Almwirt noch halb-halb geöffnet. Ein junger schwarzer Schäferhund zieht die Aufmerksamkeit auf sich; nach dem Essen hüpfen freche Hennen auf den Tisch und picken nach Bröseln vom Apfelstrudel. Hinunter geht es danach ins Oberautal. Sanft plätschert dort ein Bach. Weit weit weg sind die Nachrichten, die von israelischen Angriffen auf den Iran erzählen oder von einem fragwürdigen FPÖ-Menschen, der zum ersten Nationalratspräsidenten gewählt wurde. Es gelingt, ganz im Augenblick eines Hier und Jetzt zu sein. Nun ja, so ganz war die Politik nicht aus meiner Gedankenwelt verschwunden, dachte ich doch an den Nationalfeiertag und die österreichische Neutralität und an meinen unfertigen Essay über die neuen militärischen Orientierungen, mit denen das Potenzial der Neutralität in Frage gestellt bzw. ausgehebelt wird. Der Garmin-GPS-Sensor zeigt am Ende 15 Kilometer und 1482 Hm im Auf- und Abstieg an. Das Glücksgefühl und die Dankbarkeit für die Schönheit hat er nicht gemessen.