Nikolauslogik gegen kapitalistische Logik

Das steinerne Herz – eine Nikolauslegende

Ein Kaufmann hatte große Reichtümer angehäuft. Doch genug hatte er nie. Als er einmal unterwegs war, umwarb ihn die Stimme einer teuflischen Versuchung: „Ich kann dich noch reicher machen, reicher als alle anderen, wenn du nur willst!“ So sprach der Teufel. „Und ob ich das will! Sag mir den Preis“, reagierte der Kaufmann begierig. Der Teufel nun: „Gib mir dein Herz dafür!“ Schnell entschlossen übergab der Kaufmann dem Verführer sein Herz. Zurück erhielt er ein Herz aus Stein. Dieses erwies sich als wunderbarer Geldvermehrer. Mit gnadenloser Härte kaufte und verkaufte er alles, was sich nur zu Geld machen ließ. Unaufhaltsam wurde er reicher. Doch zugleich wurde der Kaufmann schließlich immer einsamer. Eines Tages begegnete er Nikolaus, dem Bischof von Myra. Bald erkannte der Gottesmann die seelische Not des Kaufmanns hinter der prunkvollen Fassade. Der Kaufmann erzählte dem Bischof seine Geschichte und bat um Rat. Bischof Nikolaus sagte mit Mitgefühl: „Dein Herz ist ein Stein. Es ist tot für Freude und Schmerz, für Mitleid und Sehnsucht. Doch du kannst noch heute anfangen, dein Unglück zu wenden. Sieh dir deine Mitmenschen an, besonders die Armen, die Kranken, die Verlassenen, die Kinder. Lass wieder zu, dass dein Herz berührt wird. Lass zu, dass dein Herz sich verschenken will. Dann wirst du von Tag zu Tag spüren, wie dein Herz wieder lebendig wird. Du wirst ein glücklicher Mann werden.“  Der Kaufmann nahm sich den Rat zu Herzen. Er ging zu den Menschen. Jedes gute Wort, jedes Lächeln, jede gute Tat löste die Härte in seinem Inneren, genau so wie es der Bischof gesagt hatte. Der Kaufmann wurde ein Schenkender und starb als glücklicher Mann.

Eine Geschichte über Kapitalismus und Gewaltfreiheit

Die bekannte Legende vom Nikolaus und dem steinernen Herzen ist keine Krampusgeschichte, in der die Bösen bestraft werden, während die Braven sich mit dem Nikolauspackerl zurechtfinden können.

Die Geschichte erzählt zunächst von einer wohlbekannten kapitalistischen Dynamik. Sie spielt sich über alle Jahrhunderte in gleicher Weise ab, von der Zeit des Bischofs aus Myra bis ins Heute. In der Legende ist es der reiche Kaufmann, der nie genug bekommen kann, der immer reicher wird, während um ihn herum die Not größer wird. Je einsamer er wird, je versteinerter das Herz, desto mehr versucht er mit höchster Aktivität seinen materiellen Reichtum zu mehren.

Die Nikolaus-Legende vom steinernen Herzen von damals ist eine Aufforderung zu einem Lastenausgleich heute. Der Kaufmann begann sich der Not zu öffnen und den riesigen Schatz mit denen in Not zu teilen und wurde selbst dabei glücklicher. Es ist zugleich eine Geschichte, wie durch die Barmherzigkeit Erstarrtes sich verwandelt. So ist es auch eine tiefsinnige Erzählung über Gewaltfreiheit. In dieser Erzählung gibt es keinen „Siegesplan“, gibt es keine Sieger und Verlierer, sondern das Leben von allen Beteiligten gelingt.

Dabei geht es nicht nur um die ganz großen wirtschaftlichen Fragen. Auch im Kleinen spüren wir diese Dynamik. Je mehr wir uns verschließen, desto einsamer werden wir. Je mehr wir uns schenken können, desto mehr gelingt unser eigenes Leben.

Mit wenigen Worten erzählt diese Legende, wie eine Umkehr gelingt. Erstens ist es die eigene Einsicht. Der Kaufmann merkt plötzlich, dass ihm das Wichtigste fehlt, etwas, das so viel wichtiger ist als Reichtum und jede Karriere. In seiner Einsamkeit sehnt er sich nach erfüllender Gemeinschaft und tragender Beziehung. Wer immer sich verschließt, selbstsüchtig nur auf sich blickt, nicht sieht, wie es den Menschen rundherum geht, wird wie versteinert. Es versteinert das eigene Herz.

Zweitens wäre der Kaufmann wohl nicht aus seiner Einsamkeit herausgekommen, hätte er nicht die Begegnung mit dem Nikolaus gehabt, der ihm hilft, die Augen zu öffnen, den Blick nur von sich zu nehmen, auf andere zu schauen, vor allem auf Menschen in Not. Nikolaus klagt aber nicht an, sondern zeigt einen Ausweg.

Drittens ist der Kaufmann, der sich auf diesen Weg einlässt, nicht jemand, der den Aufbruch auf später verschiebt, nicht auf irgendwann, sondern – wie es der Nikolaus sagt – heute schon, nicht überfordernd, sondern Schritt für Schritt – und Schritt für Schritt und Tag für Tag gewinnt er sein Herz zurück. Ihm wird Beziehung geschenkt – und damit wohl immer auch die Beziehung mit dem Göttlichen.

Sozialpolitischer Nikolaus

Meist beschränkt sich das Nikolaus-Brauchtum auf eine Wohltätigkeitsebene im familiären Bereich. Die Legenden des Nikolaus weisen jedoch auch darüber hinaus auf eine strukturell-politische Ebene. Das Thema Armut bzw. Verarmung durchzieht so gut wie alle diese Legenden. Wenn Nikolaus die drei Töchter vor Sexarbeit schützen will, wohin sie durch die ausweglos triste Notsituation getrieben werden, dann heißt das für heute: Die drei goldenen Kugeln des Nikolaus sind die Sozialleistungen für Menschen, die in prekäre Lebensverhältnisse geraten sind. Im Nikolaussack heute wäre aufgrund der Tatsache, dass hierzulande 20 Prozent der Kinder armutsgefährdet sind, eine Kindergrundsicherung. Für die vielen Menschen, die in Arbeitslosigkeit entlassen wurden, wäre im Sack ein ausreichend hohes Arbeitslosengeld. Nikolaus würde die vulnerablen Gruppen in Österreich im Blick haben, die noch stärker armutsgefährdet sind. Nikolaus würde Maßnahmen wie eine Vermögensbesteuerung nicht scheuen, damit er auch in Hinkunft für die Armen auch weiterhin genügend zum Verteilen hat.

Vom steinernen Herzen, das herzwarm-weich wird

Gierig war ein Kaufmann
nie genug konnte er kriegen
„mehr, mehr, mehr!“ schrie seine Gier
teuflischer Versuchung erlegen
sein Herz wurde zu Stein
sein Geld türmte sich auf
Schätze waren wie Mauern um ihn
einsam und allein war er dann

Nikolaus sah seine Not
sah die Tränen hinter der Fassade aus Gold
rührte sein Herz an
dass es sich öffne der Not
und jeden Tag ein Stück mehr
löste sich die Härte des Herzens
weich und empfindsam wurde es
befreit von Gier war die einsame Seele

Mit einem geschenkten Lächeln
mit einem liebevollen Wort
mit einer zärtlichen Umarmung
werden Mauern zu Brücken
wird weich was versteinert
löst sich Verkrampfung
kommt Licht in das Dunkle
und Wärme ins Kalte.

Klaus Heidegger

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