Unterwegs im nordwestlichen Eck des Karwendels

Klimafreundlich und philosophisch losstarten

Für Bergverliebte gibt es eine unermessliche Fülle an Gipfeln und Graten und Seen im Umkreis von Innsbruck, die sich mit öffentlichen Verkehrsmitteln leicht, bequem, unkompliziert und vor allem auch klimafreundlich erreichen lassen. Meist dauert die Zugfahrt kürzer als ein Gespräch, das in die Tiefe gehen will, vor allem dann, wenn es philosophisch wird. Mittenwald liegt zwar in Deutschland, ist aber mit der Mittenwaldbahn von Innsbruck über Seefeld und Scharnitz gefühlt fast ein Vorort von Innsbruck, auch wenn es die Mittenwalder-Bevölkerung wohl nicht so sehen würde. Die Grenzen liegen jedenfalls, wie so oft im Leben, nicht in der Natur, sondern im Kopf von uns Menschen. Solange Grenzen nur geographisch gezogen werden, wird seelisches Erleben nicht schmerzlich tangiert.

Karwendelsteig

Man könnte von Mittenwald auf 930 m die kühne Seilbahn nehmen – und man tut es wahrscheinlich auch zu 99 Prozent. Man wird von der Gondel dann innerhalb von 10 Minuten auf 2244 m befördert. Von Mittenwald aus wirkt die Flanke hinauf zur Bergstation jedenfalls imposant. „Da soll es einen Steig hinauf geben?“, frage ich mich jedenfalls. Angeschrieben ist auf einer der ersten gelben Tafeln 4 Stunden bis zur Bergstation der Karwendelbahn. Der Mittenwalder Klettersteig soll nochmals 9 Stunden dauern. Uns steht also eine satte Bergtour bevor. Zunächst geht es gemütlich im kühlen Schatten hinauf. Die gegenüberliegenden Ausläuferberge der Zugspitze und der Arnspitzgruppe sind schon von der Sonne beleuchtet. Bis zur Mittenwalder Hütte ist es ein angenehmer Wanderpfad. Dann allerdings geht es bereits ordentlich zur Sache. Der Karwendelsteig wird als schwarzer Bergweg ausgeschildert und Trittsicherheit und Schwindelfreiheit sind Voraussetzung. Meine beiden Begleiter hüpfen wie junge Gamsböcke hinauf, während ich bei manchen Passagen vorsichtig bin. Das Surren der Seilbahn begleitet mich. Von der Gondel aus wird dieser Steig wohl noch beeindruckender aussehen. Die Steiglein sind eng. Leichte Kletterstellen sind nicht immer seilversichert. Manche Steine sind speckig. Zum Glück ist alles trocken. Und der Aufstieg zieht sich. Es ist also nicht überraschend, dass wir mit zwei Ausnahmen allein auf diesem doch recht ausgesetzten Bergpfad sind. Wegen des Steinschlags ist es auch besser so. Jedenfalls bin ich erleichtert, als dann das Riesenfernrohr sichtbar wird, das bei der Bergstation weit über die Felswand hinaus reicht. Ich tauche ein in die Morgensonne der Karwendelgrube, wo sich Dutzende Menschen an diesem Traumtag auf dem Panoramaweg in der Runde bewegen. Rund um die Bergstation der Karwendelbahn sind an diesem Tage viele „Ausflügler“, die das großartige Panorama hoch über Mittenwald bestaunen. Mit der Einsamkeit des Gehens am Karwendelsteig ist es für ein paar Augenblicke vorbei. Der Rundumblick in die Karwendeltäler und auf die verschiedenen Karwendelketten und bis hinüber in die Stubaier Alpen, hinein ins Wetterstein, hinunter ins Isartal usw. usf. ist beeindruckend. Wir haben weder Zeit für das Riesenfernrohr noch für die Westliche Karwendelspitze, die so nahe wäre.

Mittenwalder Klettersteig

Der Mittenwalder Höhenweg ist vielleicht eine der bekanntesten Klettersteigtouren im Karwendel. Er wird in den Führern mit etlichen Superlativen versehen: Als „eine der schönsten Touren im deutschen Voralpenraum“ oder als „absolute Genusstour“. Der alte Name „Höhenweg“ passt auch in vielen Aspekten besser als „Klettersteig“. Am wichtigsten ist hier wohl trittsicheres Gehen auf teils sehr ausgesetzten und engen Passagen ohne Seilsicherungen. Bei den möglichen schwierigen Kletterpassagen sind Eisenleiternpassagen und selbst Holzbrücken. Der Einstieg ist nahe der Bergstation. Von dort geht es drei Kilometer meist dem Grat entlang. Wir haben das Klettersteigset dabei, ohne es aber wirklich zu benützen. Es gibt höchstens B-Stellen. Alte Eisenleitern, vorsichtig die Steige gehen, Mittlere Lindenspitze, Seilversicherungen, Südliche Lindenspitze, Wandquerung – der Helm ist wichtig! – manchmal aber selten gilt es, Langsamere zu überholen – Kirchlspitze, immer mit Panoramablick weit hinein in die Karwendeltäler, in die Leutasch, zur Zugspitze usw. usf. Unsere erste Rast machen wir auf der Kirchlspitze, die wie die anderen Erhebungen hier ohne Gipfelkreuz auskommt. Dann beginnt der leichte Abstieg hinunter in den Brunnanger zur Brunnangerhütte. Dort sind schon Kaspressknödel für uns vorbereitet und es gibt Mittenwalder Bier, bevor wir den Steig durch einen zauberhaften Wald – auch über eine Hängebrücke – nach Mittenwald nehmen. 23 Kilometer und 1775 Höhenmeter hat der Garmin gemessen. Nicht messbar sind wiederum Gefühle und Gedanken, Gespräche und tiefsinniges Schweigen, sind die atemberaubenden Blicke und die Achtsamkeit des Gehens entlang der Abgründe. Ich nehme mir jedenfalls vor, diese Runde bald wieder einmal zu gehen.

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