als ich noch Kind war
leuchtete selbst im Sommer
vor dem Grün des Tales davor
strahlend-weiß ein Gipfel
leuchtete so weiß wie Schönwetterwolken im Blau des Himmels
„Weißseespitze“ wird sie noch immer genannt
das Weiß ist verschwunden
gräulich und braun sind klägliche Reste von Gletscher davor
mit Spalten wie klaffende Mäuler
als würde aus ihnen gerufen
„so rettet uns doch!“
„tut was endlich!“
als ich noch Kind war
führte keine Straße auf das Weiß
im hintersten Ende des grünen Tales
wo strahlend-weiß ein Gipfel war
keine Masten waren dort am Fuß einer der schönsten Eiswände der Alpen
und Eisesreste waren nicht mit Schutzmatten aus Kunststoff bedeckt
heute führt eine Straße hinauf
Motorräder dröhnen
überdimensionierte Autos lärmen
hinauf in das Grau der abschmelzenden Gletscher
und oben im Restaurant und rundherum ist Treiben
wie unten im Grau unserer Städte
als ich noch Kind war
krochen keine braun-schleimigen Tiere
im Grün des Tales
dort lebten Feuersalamander in Fülle
es summten Abertausende Insekten
und es roch die Natur
heute ist der Duft nach Heu
mit giftig-süßlichen Abgasen vermischt
die Gefahr lässt sich mit Sinnen erfassen
doch bleiben Klimaleugner ignorant
treiben ihr populistisches Spiel
opfern die Gletscher in grenzenloser Gier
als ich jung war
stieg ich auf die hohen Gipfel ringsum
Steine und Felsen waren im Permafrost fest verankert
Gerölllawinen waren kein Thema
altbekannte Steige blieben begehbar
Griffe und Tritte waren verlässlich
heute donnern Steine von Flanken und Wänden
manch Gipfel aus Jugendzeit ist nicht mehr begehbar
vergeblich zieht sich eine Gletscherzunge zurück
um sich vor der Dummheit der Menschen zu schützen
Regengüsse werden nicht mehr gehalten
bedrohen mit Muren die Menschen da unten
als ich jung war
träumte ich von Menschen
mit denen ich Gletscher schützen könnte
und Feuersalamander dazu
und ich träume noch immer davon
uns umarmend zu trösten und zu stärken
klaus.heidegger, 26.8.2022