Landeck
Noch hängen Regenwolken im Sonntagvormittag. Mich stören sie nicht. Der Wetterbericht versprach Auflösungen. Noch regnet es. Ich mag die Regentropfen. Sind wie Tränen. Und die Wolken. Wie im Leben. Es ist nicht immer Sonnenschein. Ich weiß aber – wie im Leben – hinter den Wolken, da gibt es die Sonne. Sonntag ist eine gute Zeit für die heutige Tour. Und dass es regnet. Da wird weniger Verkehr sein. Ich werde besser in die Natur eintauchen können und meinen Gedanken und Gefühlen nachhängen. Aber bevor ich losstarte, betrachte ich wieder die Architektur des Bahnhofs in Landeck. Eine gelungene Verbindung von Altem mit Neuem. Alt: die so typische Art von Bahnhöfen mit Steinmauern, die es denkmalgeschützt wie die Vorlagen für Modelleisenbahnen in jeder Ortschaft entlang der Arlbergstrecke gibt. Neu: Die gläsernen Verbindungen und die tiefsinnige Schrift an den Türen.
Paznaun
Am kleinen Badesee von See – wohl daher kommt der Name der Ortschaft – verweile ich ein wenig. Die Pfarrkirche spiegelt sich darin. Ich denke über das heutige Sonntagsevangelium nach und entdecke in mir etwas von jener Haltung der Witwe, die unermüdlich nach der verlorenen Drachme sucht. Ich fahre verhalten. Erst am Abend werden wir ich meine Freunde in Tisis treffen. Es ist schön, so ohne Zeitdruck zu fahren. Die Steigungen sind moderat. Die Strecke ist mir vertraut. Nur manchmal schrecken mich lärmende Sportwagen in meiner Gedankenwelt auf. Das skurrile Bild der Hotelburg von Ischgl überrascht mich nicht mehr. In den Ortschaften hängen die Sonntagszeitungen. Ich habe sie schon gelesen. Die vielen Berichte von der gerade verstorbenen Queen habe ich überblättert. In der TT war ein Interview mit Toni Mattle, Landeshauptmannkandidat aus Galtür. Und ich fahre da gerade dort durch. Auf der ganzen Strecke hängen die so unnötigen riesengroßen und kleinen Plakate. Da steht nicht mehr oben als „KLUGER.KOPF“ oder „WETTERFEST“. Im Zentrum dann stets die Köpfe. Werden bei den Landtagswahlen in zwei Wochen Köpfe oder Parteien gewählt, mag man sich zurecht fragen. Die Regenwolken lösen sich langsam auf. Von Galtür aus ist es gefühlt nicht mehr weit bis zur Passhöhe. Vor allem aber liebe ich diese Bergstrecke. Die stolzen Berge sind weiß wie ein Gugelhupf mit Staubzucker. Dieser Gedanke löst Hunger in mir aus – mehr noch das Gefühl, jetzt in Gemeinschaft mit einem lieben Menschen Gugelhupf zu essen und Kaffee zu trinken.
Silvretta-Bielerhöhe (2032 m)
Am Silvrettasee mit den zwei Staumauern – er liegt genau an der europäischen Hauptwasserscheide – scheint nun die Sonne. 46 Kilometer und 1216 Hm waren es von Landeck. Ich sitze am Ufer und schaue und staune und nehme mir dann Zeit, über die Staumauer zu fahren, in den Stollen mit der Kunstinstallation und noch etwas weiter dem See entlang.
Die 32 Kehren nach Partenen im Montafon sind ganz besonders. Eine kühne Anlage, wie sich die Straße über 1000 Höhenmeter die steile Ostrampe hinunter windet. Da kaum Verkehr ist, lassen sich die Kehren gut abfahren. Hinaus durch das Montafon nehme ich ab Schruns den Radweg. So geht es mit viel Natur- und Auwalderfahrung nach Bludenz, das ich ebenfalls der Ill entlang umfahre. Erst vor kurzem bin ich auf der Parisfahrt den Radweg durch die Auwälder und Wiesen und entlang von Baggerseen von Bludenz bis Feldkirch gefahren. Jetzt ist Herbst geworden. Ich nehme mir Zeit, um an einem der Seen der untergehenden Sonne zuzusehen. Sie färbt die Berge der Verwallgruppe im Hintergrund goldgelben. 124 Kilometer und 1589 Hm und unendlich viele Gedanken und Gefühle. Letztere kommen nie an ein Ziel.
klaus.heidegger, Texte aus dem Sabbatical, #2