Über drei Pässe: Mit dem Rennrad von Feldkirch nach Imst

Teil 1: Furkajoch (1759 m)

Zum Glück gibt es ab meinem Startpunkt in Tisis, knapp vor der Grenze zum Fürstentum Liechtenstein, hinein in die Stadt Feldkirch und dann durch das Häusermeer des dichtbesiedelten oberen Rheintals bis Rankweil meist Radfahrstreifen. Als ich losfahre, ist es noch dunkel. Im Morgengrauen komme ich nach Rankweil. Mächtig steht die Liebfrauenbergkirche wie eine Burg auf einem Felsen. Dort beginnt dann die Bergfahrt. Ich bin auf 480 m Seehöhe. 1200 Höhenmeter verteilt auf 30 Kilometer werden es von Tisis bis zum Furkajoch sein. Damit liegt es etwas niederer als der Hohe Kasten, der markante Schweizer Aussichtsberg mit den Sendetürmen im Osten des Rheintales. Während ich mich die Serpentinen hinaufschraube, färben sich der Hohe Kasten und die Appenzeller Alpen in ein Morgengold. Darüber steht der Vollmond. Ich denke an die Fahrt nach Paris, als wir auch an einem goldenen Morgen durch die Appenzeller Alpen fuhren. Heute führt mich die Fahrt nach Westen. Es geht hinauf nach Laterns und ins Laternsertal. Die Ortschaft Laterns soll die größte von Vorarlberg sein, zugleich hat sie weniger als 700 Einwohner. Alpines Gelände, Almen und Wälder prägen das dünnbesiedelte Tal. Atemberaubend tief unten ist die Schlucht, die „Üble Schlucht“ genannt wird. Tief hat sich die Frutz durch den harten Kieselkalk im Laufe von Jahrhunderten gefressen, wodurch links und rechts steile Felswände entstanden: eine einsame Urlandschaft im Hinterhof der Menschenmenge vom Rheintal. Um diese Zeit und mitten in der Woche im September sind kaum Fahrzeuge unterwegs. So kann ich mich auch in den Tunnels und Galerien sicher fühlen. Langsam kommen die ersten Sonnenstrahlen. Tausende von Insekten werden von der Sonne beschienen und führen ihre Tänze auf. Zum Glück scheinen sie schnell genug zu sein, damit ich nicht eines davon verschlucke. Meist ist die Straße hinauf zum Joch einspurig. Furkajoch 1759 m. Die Farben sind jetzt im Herbst fast unüberbietbar. Almböden beginnen sich jetzt schon rot zu färben. Die steilen und schroffen Berge sind im Morgenlicht des Septembers besonders kontrastreich. Über all dem ein tiefblauer Himmel. Hätte ich nicht noch viel vor, könnte ich so Stunden verweilen. Obwohl am Passkiosk nicht mehr als vier Motorradfahrer Rast genommen haben, riecht es schon intensiv nach heiß gemachten Würsteln. 30 Kilometer.

Teil 2: Hochtannbergpass (1697 m)

Gefühlsmäßig beginnt nun der zweite Teil meiner Tagesfahrt. Über prächtige Almenlandschaft hinunter in den Bregenzerwald. Bei einer Kurve spüre ich, dass vorne plötzlich die Luft ausgeht. Das könnte bei hoher Geschwindigkeit gefährlich sein. Patschenflicken ist angesagt. Allerdings lässt sich mit der kleinen Pumpe nur wenig Bar in den Reifen pumpen. So suche ich mir unten im Tal einen Sporthändler und werde – nach einer kleinen Irrfahrt –fündig. Wieder kann ich auf 6 Bar aufpumpen und es fühlt sich gleich viel besser an. Ein Händler von Rennradschuhen sah meine sehr mitgenommenen Schuhe mit den durchgewetzten Sohlen und zeigt mir gleich seine neue Kollektion. Irgendwann wird es wirklich Zeit. Gut eine Stunde bin ich nun hinter meinen vagen Zeitberechnungen. Von Au im Bregenzerwald (807 m) geht es zum Hochtannbergpass auf 1697 m. Im Sommer und in Hauptverkehrszeiten möchte ich solche Strecken nie mehr fahren. Ich erinnere mich ungern an meine letzte Fahrt über diese Strecke an einem schönen Spätsommersonntag, als mir die Autos und Motorradfahrer um die Ohren fuhren. Heute ist es selbst auf der Bregenzerwald-Bundesstraße angenehm zu fahren. Ich kann in die Landschaften eintauchen: wie ein Canyon fallen die Felswände über der Straße hinunter; darüber sind imposante Gipfel; fast majestätisch windet sich die Straße hinauf zur Passhöhe. Oben ist ein Moorsee. Im Süden ist der Widderstein, den ich gestern vom Bodensee aus sehen konnte. Vom Hachtannbergpass ist er in der klaren Septemberbergluft zum Greifen – oder besser zum Besteigen – nahe. 70 Kilometer.

Teil 3: Hahntennjoch (1894 m)

Es geht aber weiter. Hinunter nach Warth. Heute fällt mir besonders der Hausgipfel dieser Tourismusortschaft auf, der Biberkopf, der mit seinen grau-glatten Felswänden über der Almenlandschaft thront. Er kommt geistig auf meine Bergzieleliste. Die Fahrt durch das Lechtal beginnt. In Holzgau vor den prunktvoll bemalten alten Häusern mache ich meine zweite Essenspause, wieder mit Weckerl und würzigem Bergkäse. Letzter passt einfach zu dieser Gegend. Mehrmals geht es über die Lech. Bei Elmen (976 m) schließlich beginnt der dritte Teil meiner Alpenpässefahrt. Allerdings steht dort ein Schild, dass der Übergang der Hahntenjochstraße auf Imster Seite gesperrt ist. Kurz überlege ich, was das für mich bedeutet. Die Option, nach Reutte zu fahren und dort eventuell über Garmisch-Mittenwald einen Zug zu bekommen, ist mir zu unsicher. Für die Fernpassvariante bin ich schon zu spät dran. Also entscheide ich mich, es doch über das Joch zu versuchen. Ein Schild sagt, dass die Sperre nur zwischen 8.00 – und 19.00 Uhr sei. Der große Vorteil ist, dass so gut wie keine Autos und Motorräder unterwegs sind. Nur ein paar Rennradfahrer nützen die Gelegenheit, einmal ungestört vom dröhnenden Lärm der Cabrios und Motorräder in die wunderbare Berglandschaft der Lechtaler Alpen zu fahren. Tief unten liegt die Schlucht des Bschlaber Tales. Vor mir die grauen Flanken der Lechtaler. Irgendwann, so denke ich mir, werde ich den Lechtaler Höhenweg gehen und bei den vielen Hütten vorbeikommen und auf einigen auch übernachten. Ein Rennradfahrer aus dem Lechtal schließt zu mir auf und wir reden fahrend miteinander. Er erzählt, dass er nun zum 30. Mal in diesem Sommer auf das Joch fahre. Ich fühle mich gar nicht müde nach 120 Kilometern und fast 3300 Höhenmetern. Wir reden über den jetzigen Pfarrer von Elbigenalp, den wir beide gut kennen. Beide waren wir bei seiner Primiz. Er damals als Ministrant, ich als Alumne. Auch damals bin ich mit meinem ersten Rennrad aus Stahl von Innsbruck aus über Holzleitensattel und Hahntennjoch nach Steeg gefahren. Oben hat es geschneit und ich hatte keine Handschuhe dabei. Gegen die Kälte, den Schnee und den Regen hatte ich einen weiten roten Poncho, der sich im Wind wie ein Segel aufblies. Heute ist die Ausrüstung unvergleichlich besser. Heute ist es warm. Meine Träume von einer Gesellschaft, in der die Umwelt bewahrt und Gerechtigkeit gelebt wird, aber auch meine Träume nach wertschätzenden Begegnungen sind wohl gleichgeblieben. Über die teilweise frisch geteerte Straße fahre ich die Panoramastrecke nach Imst hinunter. Heute gehört mir diese Strecke ganz alleine. Ein besonderes Erlebnis, wo die Natur, die steilen Felswände mit viel Geröll darunter und die Latschenhänge, noch besser auf mich wirken kann. Gesamtstrecke bis zum Bahnhof in Imst: 138 km und 3290 Höhenmeter.

klaus.heidegger, Texte aus dem Sabbatical, #3

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