Es gibt wohl kaum eine größere Stadt auf der Welt, die rundherum so viele Almen hat wie Innsbruck. Gut dreißig Almen dürften es schon sein. Zu manchen dieser Almen lässt sich nach getaner Arbeit mit dem Mountainbike von der Stadt aus fahren und in knapp einer halben Stunde schon kann das Treiben in der Stadt gegen die Ruhe von Wäldern und Wiesen eingetauscht werden, quält nicht mehr Straßenlärm die Seele, sondern höre ich scheinbar selbst die Ameisen die Nadeln schleppen oder einen Pilz wachsen. Wenn es mitten in der Woche ist und schon am Ende der Saison und das Wetter in einen nasskalten Herbst umzuschlagen beginnt, dann ist man besonders allein. Dann fahre ich zu meinen Lieblingswohnzimmer-Orten.
Heute geht es zunächst den extrem steilen Hohlweg zum Bergisel hinauf. Auf der Brennerstraße und noch viel mehr auf der Brennerautobahn ist wie üblich ein tosender Verkehr. Der kurze Radweg entlang der Brennerstraße ist neu. Der Radweg führt nun immer den Straßenbahngleisen entlang nach Natters, Mutters, Kreith und Raitis. Ich fahre noch weiter über die Telfer Wiesen ins Stubaital hinein und dann in einem weiten Bogen und im tiefen Wald auf und ab zur Kreither Alm (1492 m). Ich bin dankbar für die Natur, die Lärchen, die Pilze und Ameisenhaufen am Wegrand und nehme mir Zeit, sie zu beobachten. Der Föhnwind spielt mit den Wolken und manchmal fällt ein Regentropfen. Nur irgendwo weit entfernt höre ich eine Motorsäge. Ansonsten sind keine Menschen an diesem Spätnachmittag unterwegs. Keine Wanderer. Keine Mountainbiker. Alleine im Wald. In dieser Einsamkeit kommt mir bei der ersten der vier Almen, die ich vage im Ziel habe – mir geht es ja um den Weg – ein Gedicht von Erich Fried in den Sinn. Es ist so einfach-klar, dass ich es auswendig kenne. Spricht mich wohl existenziell gerade besonders an.
„Ohne dich
Nicht nichts ohne dich
aber nicht dasselbe
Nicht nichts
ohne dich
aber vielleicht weniger
Nicht nichts
aber weniger
und weniger
Vielleicht nicht nichts
ohne dich
aber nicht mehr viel“
Weiter geht es zur Raitiser Alm (1550 m). Von hier aus gäbe es einen spannenden Aufstieg auf die Nockspitze. Nehme ich mir vor! Manchmal wird zwischen den Bäumen ein Blick freigegeben auf die ausgedehnten Stadtflächen von Innsbruck, die 1000 Meter tiefer liegen. Die nächsten beiden Almen befinden sich fast auf gleicher Höhe: Mutterer Alm (1605 m) und Götzner Alm (1542 m). Es wird ein richtiges Almensammeln. Steil hinunter nach Götzens und von dort wähle ich die Route über den Natterer See und dann in das Häusermeer mit den viel zu vielen Autos. 1408 Höhenmeter verteilt auf 40 Kilometer waren es am Ende.
klaus.heidegger, Sabbaticaltexte #4