aus den Tiefen
in die Höhen
von den Höhen
in die Tiefen
in den Tiefen
mit Kraft aus den Höhen
gott* in den Tiefen
gott* in den Höhen
klaus.heidegger, 18.9.2022
Die Berge, die mir die Höhen schenken und mich immer wieder zurück in die Tiefen entlassen, sind mir vielfältige Metaphern und Sinnbilder für das, was ich erlebe. Sicher bin ich auch deswegen gerne auf und in ihnen unterwegs.
Breche ich zu früher Stunde auf, ist es in mir wie das Gefühl, aus den erlebten Tiefen heraus zu kommen. Die aufgehende Sonne wird zur Metapher für die Sehnsucht nach Licht im Dunkeln und nach Wärme im Kalten.
Beim Höhersteigen nehme ich eine Kraft in mir wahr, die mir hilft, die schweren Gedanken zu tragen. Das Herz schlägt stärker als die Gefühle, die es einengen. Ich spüre in mir die alten Narben und jene immer neuen Wunden, die noch nicht verheilt sind.
Für einige Stunden sehe ich nicht die Grenzen, die mir im wirklichen Leben immer wieder gesetzt werden, Grenzen, die wirkliche Begegnungen verhindern und einschränken. Am Gipfel eines Berges kann der Blick in die Weite oft grenzenlos sein wie die Gedanken und Gefühle, die so tief sind wie ein Blick hinunter in die Abgründe eines Berges. Ich lasse meine Träume fliegen, als hätten sie einen Gleitschirm, um dort zu landen, wo ihr Platz ist. Oberflächlichkeiten und Banalitäten haben keinen Platz in der Wildnis der Berglandschaft, wo es auf schmalen Graten und in abschüssigem Gelände auf jeden Schritt und Tritt ankommt. Die Urlandschaften sind nicht gezähmt, wie menschliches Leben sehr oft, das eingeengt wird durch die Notwendigkeiten des Alltags oder das „man muss“ und „man soll“ und „man darf doch nicht“. Was in den Bergen zählt, das ist der Moment, der Augenblick.
Wo ist mir nun Gott* in alledem? Oft hörte ich den Spruch „alle Wege führen zu Gott, einer über die Berge“. Der Spruch passt nicht zu meinem Erleben. Die Orte und Zeiten, in denen mir Gott* begegnet, erlebe ich nicht als „Gloria in excelsis“, wie es in den Kirchen kräftig gesungen wird. Bei einem „Ehre sei Gott in der Höhe …“ verstumme ich inzwischen. Die Gottkraft finde ich nicht in der Höhe, sondern in den Tiefen, überall dort, wo Menschen einander in den Erfahrungen der Tiefe stützen und stärken: wo heilende Hände da sind, wenn jemand verwundet ist; wo versöhnende Worte gefunden werden, wenn Streit zwischen Menschen ist; wo achtsam aufeinander gehört wird, wenn aneinander vorbeigeredet oder geschwiegen wird; wo tröstende Gesten Tränen trocknen, wenn Enttäuschungen da sind; wo Zuneigung erfahren und gelebt wird, wenn Einsamkeit um sich greift. Es ist nicht mehr Gott „in excelsis“, sondern Gottkraft „in caliginibus“ – Gott in den Finsternissen und Tiefen des Lebens. Gott* ist heilende Begegnung. Und wo diese nicht ist, ist Gott* nicht.
An einen solche Wirklichkeit dachte wohl auch jener Philosoph, der vor fast genau 150 Jahren starb, und dessen Geist mich heute noch erfrischt. Ludwig Feuerbach postulierte die Diesseitigkeit gegen jede Jenseitsvertröstung, die Konkretheit des Göttlichen gegen jede Projektion. So suchte der Religionsphilosoph mehr die Begegnung mit den einfachen Menschen, mit Tagelöhnern und Arbeitern, als sich in universitären Vorlesungshallen zurück zu ziehen. So pries er die Sinnlichkeit, die nicht im Widerspruch zum Geistigen sich stellt, sondern sich mit Geistigem in Einheit verbindet.
Von einem Begegnungsgott im konkreten Alltag und in den Gebrochenheiten des Lebens erzählen uns immer wieder neu die Evangelien. Im heutigen Sonntagsevangelium (Lk 16,1-9) geht es um einen Verwalter, der entgegen den Vorschriften und Gesetzen den Verschuldeten aus der Not hilft. Entgegen einer herrschenden ökonomischen Ausbeutungsmentalität agiert der Verwalter und wird so zu einem Prototyp einer neuen, einer anderen Gerechtigkeit. Jesus selbst war ein Mann, der in den Begegnungen zeigte, wo das Reich der Himmel – bzw. die göttliche Gegenwärtigkeit – zu finden ist. In der Zuwendung zu den Kranken, den Schwachen, den Verarmten und Verzweifelten und im gemeinsamen Mahlhalten und Feiern.
(klaus.heidegger, Sabbaticaltexte #6)