ich glaube …

ich glaube
ich glaube dir
ich glaube an dich
kleinwinzig wie ein Senfkorn
starkmächtiger als ein Maulbeerbaum

„Wenn ihr Glauben hättet wie ein Senfkorn, würdet ihr zu diesem Maulbeerbaum sagen: Entwurzle dich und verpflanz dich ins Meer! und er würde gehorchen!“ Dieses Jesuswort aus dem Sonntagsevangelium (Lk 17,6) kreist in meinen Gedanken, während ich am Ufer des Flusses sitze. Nach den vergangenen Regentagen ist das Wasser schäumend-braun und mächtig. Das Rauschen des Flusses schluckt fast den Lärm der Autobahn auf der anderen Seite. Die steilen Felswände an meiner Uferseite sind in dicken Regenwolken. Am Ufer tropft es mystisch von den mächtigen Aubäumen. Mit den glatten, abgerundeten Flusssteinen lege ich zwei Engel in den nassen Sand. Ich glaube an diese himmlischen Wesen, denke ich mir dabei, weil es Menschen gibt, die begleitend und schützend sind am Rande von reißenden Flüssen. In meinen Gedanken entsteht ein Gedicht zum heutigen Schutzengelfest. Es sind keine fernen Engel in himmlischen Höhen eines eingebildeten Jenseits: sie sind konkret und erfahrbar als göttliche Wirklichkeiten. Ein DU forme ich mit kleinen Steinen in die Sandbank und philosophiere dabei über Martin Buber und verknüpfe es mit eigenen Erfahrungen und komme wieder fließend wie der Fluss zurück zum Senfkorn und zum Feigenbaum. Ein regennasses rotes Blatt fällt neben die beiden Steinengel und neben das Du-Wort. Meine Hand, sandig nass vom Spiel mit den Steinen, ertastet die zerfurchte Rinde des Baumes. Als Student war ich öfters in der Au. Dieser Baum stand schon da, als ich verträumt an die Kraft der Liebe glaubte, die stärker ist als jede Lieblosigkeit, an die Kraft der Gewaltfreiheit, die jede Gewaltsituation in Frieden verwandeln kann. Meine Gedanken fließen dorthin, wo die Wasser des Flusses in einiger Zeit in das Meer münden werden. Dort wird seit vielen Monaten Krieg geführt, werden täglich Dutzende Menschen verstümmelt und getötet. Das Wasser fließt dorthin, wo die Ufer vermint sind und Blut sich mit Wasser verbindet. Die Herrschenden und auch ihre Untertanen glauben längst nicht mehr an das, was Jesus sagte: Gewalt nicht mit Gewalt zu bekämpfen, Friede nicht mit unfriedlichen Mitteln zu erzwingen. Wäre solcher Glaube nur so klein wie ein Senfkorn, dann würden die Maulbeerbäume der Rüstung entwurzelt werden und ins Meer gepflanzt, wo sie nicht weiterwucherten. Ich denke aber auch flussaufwärts, dorthin, wo die Wasser gespeist werden aus den schmelzenden Gletschermassen der Alpen, dorthin, wo ein gigantisches Stauprojekt geplant ist und eine 120 Meter hohe Staumauer ein unberührtes Tal überfluten soll und mit einem See gefüllt würde, dessen Wasser aus weit entfernten Gebirgsbächen zugeführt werden sollen. Ursprünglich wollte ich bei der Kundgebung gegen dieses riesige Bauprojekt heute dabei sein, fühlte mich aber zu wenig fit dafür. Meine Ohren nehmen nun wieder den Zivilisationslärm der Autobahn wahr. Was ist mit dem Glauben, dass es sich auch mit weniger Energieaufwand leben ließe? Die Maulbeerbäume gigantischer Betonprojekte ließen sich doch ersetzen durch die Senfkörner vieler kleiner, dezentraler Kraftwerke aus der Kraft des Wassers, des Windes und der Sonne und einem Lebensstil, der weniger energieaufwendig ist. Am Rande der Au habe ich mein Rad mit dem Schloss an einen dünnen Laubbaum gebunden. Vom nahen Flughafen hebt ein  Flieger ab und von den Felswänden dröhnt der Lärm wider.

Klaus Heidegger, 2. Oktober 2022

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