Sabbatical-Zeit. Wehmütig sehe ich vom Zug aus im Morgendunkel meine Schule. Ich vermisse es, mit den Schülerinnen und Schülern an Fragen des Glaubens zu arbeiten. Dafür habe ich Zeit, um einfach irgendwo – ganz spontan – andere Gebiete zu entdecken und neue Radrouten auszuprobieren, die nicht in gewohntem Umkreis sind. Start ist wieder Kufstein-Bahnhof. Am Radweg neben dem aufgestauten Inn geht es nach Kiefersfelden. Am Gießenbach sind einige kleine Wasserkraftwerke. Die Gleise der Wachtlbahn, die in das Gießenbachtal führen, sind Relikte einer vierhundertjährigen Industriegeschichte. Holz aus den Wäldern Tirols wurde in Meilern zu Holzkohle verarbeitet und auf dem Inn dann in die Orte gebracht, wo sie für das Schmelzen der Erze – u.a. im Zillertal – Verwendung fand. Von Kiefersfelden an, das ganze Gießenbachtal hinein, der Bach linkerhand einmal tief unten in einer Schlucht, dann wieder ganz nahe am Weg, über die Oberaudorfer Almen bis zur Wirtsalm und dem Wirtsalmsattel (1259 m) treffe ich keinen Menschen. Entweder höre ich den Bach in der Gießenbachklamm oder das leise Fallen bunter Blätter von den unzähligen Laubbäumen. In diesen abgelegenen Wäldern der Brandenberger Alpen soll es auch einen Bär geben, wurde bereichtet. Meine Gedanken sind immer wieder beim zweitägigen Treffen der Religionslehrpersonen, deren Vertreter ich über 10 Jahre in unserer Diözese war. Gestern wurde ich von dieser Aufgabe verabschiedet, weil meine Funktionsperiode endete. Vor einem Jahr konnte ich dort noch als Referent tätig sein. Das einsame Radfahren ist immer wieder ein Schaukeln zwischen Gestern und dem Wahrnehmen des Heute. Nebelschwaden steigen aus den Wäldern. Die steilen Abschnitte nach den Oberaudorfer Almen schiebe ich das Rad. Vom Wirtsalmsattel hinunter ins Nesseltal ist anfangs eine Tragepassage (ca 100 Hm) an einem engen Steig, wo es linksseitig steilabfallend in eine Schlucht hinunter geht. Ein Trailfahrer würde wohl weniger oft absteigen. Aber das bin ich nicht. Nach dem Single-Trail kommt wieder eine gut befahrbare Strecke durch das Nesseltal ins Ursprungstal hinaus. Knapp hinter dem Ursprungspass wähle ich dann eine weitere MTB-Strecke. Sie führt durch die goldgelben Laubwälder immer ostwärts hoch über dem Thierseetal dem Sonnberg entlang auf 1250 Hm und dann auf gutem Alm- bzw. Forstweg steil nach Vorderthiersee hinunter. Als Sahnehäubchen zum Schluss wähle ich die Route hinunter zum Gasthaus Wachtl nach Kiefersfelden, von dort hinauf zum Hechtsee und schließlich dem Thierberg entlang zurück nach Kufstein. 55 herbstliche Kilometer und 1898 ebenso herbstliche Höhenmeter.