San Sebastián – Donostia

Donostia und das Baskische

Eine Besonderheit der Stadt beginnt gleich beim Namen. Vertraut ist sie mir mit dem Namen San Sebastián. Den baskischen Namen Donostia – der eine abgekürzte Form für Heiliger Sebastian ist – hatte ich selbst dafür noch nie verwendet, was wohl damit zusammenhängt, dass wir eher den Herrschaftsblick internalisiert haben als die kulturellen Unterschiedenheiten. Bei meinen ausgedehnten Spaziergängen nehme ich nun mehr das Baskische wahr, die Zweisprachigkeit, die mir überall begegnet oder die Graffiti, die Reminiszenzen an die Geschichte der ETA und ihre Autonomiebestrebungen sind. In den Museen achte ich darauf, was sie mir von baskischer Geschichte erzählen. Eines ist jedenfalls deutlich: Zum Frieden in dieser Region ist es nicht durch eine neue Staatenbildung gekommen, nicht durch Separatismus, sondern durch Dialog und Verhandlungen, an deren Ende dann Autonomieregelungen standen. Das könnte auch der Weg für die Ukraine sein, denke ich mir öfters.

Straßen und Plätze und die Altstadt

Die prachtvollen Häuserreihen entlang des Flusses und der Strandbuchten erinnern mich mit ihrer Architektur an Wien oder an andere mitteleuropäische Großstädte. Man merkt, dass hier einst die spanischen Könige – und eine Königin aus tu felix Austria – in den Sommermonaten ihre Zeit verbrachten. Wäre da nicht das Meer an der schönen Seite der Großstadt, könnte ich gar nicht meinen, in Spanien zu sein. Manche der prunkvollen Häuser sind im Jugendstil wie irgendwo in der Wienzeile. Feuchte Kälte zieht durch die jetzt im Spätherbst dunkel wirkenden Straßen der Altstadt. Die Weihnachtsbeleuchtungen werden erst am Freitag eingeschalten. Trotz Primaloftjacke und Pullover ist mir meist zu kalt und selbst in den Kaffees und Restaurants ziehe ich mich – wie viele andere auch – nicht aus. Da ist es eigentlich auch nicht viel wärmer. Wenn die Sonne herauskommt, wärmt sie nicht und in die Straßenschluchten kommt sie gar nicht hinein. Zum Glück regnet es nicht. Auf einem kleinen Platz in der Altstadt wurde eine Krippe mit Hunderten einmetergroßen Figuren aufgestellt, In einer Nebenstraße wecken politische Graffiti an geschlossenen Geschäften mein Interesse.

Buchten und Meer und Küstenhügel

Zwei große und eine kleine Bucht sind die Besonderheit von San Sebastián. In der einen Bucht spielen Surfer mit den Wellen und es ist ein zunächst merkwürdiger Anblick, wenn jetzt in der Novemberkälteirgendein Mann – manchmal auch eine Frau – mit einem Surfbrett unter dem Arm und Neoprenanzug in einer Straße vor der Küste auftaucht und zum Strand läuft, fast so wie wenn ich mit dem Fahrrad und aufgebundenen Ski durch Innsbruck fahre. Ich könnte ihrem Spiel mit den Wellen lange zusehen. Der Fluss Urumeu schlängelt sich zuerst durch die Stadt, gerade so, als zierte er sich am Ende doch, ins weite Meer zu fließen. In der größeren halbkreisförmigen Strandbucht, die den Namen „Muschel“ verdient, gibt es noch einige wenige, die zumindest kurz ein Bad im Meer nehmen. Am besten kann ich von einem der Hügel oberhalb der Stadt auf das Meer und die Stadt blicken. Auf dem Urgull war ich gleich zweimal. Bei Sonnenuntergang und dann nochmals mittags. Dort oben steht über den gruselig wirkenden militärischen Befestigungsanlagen aus dem 18 Jahrhundert eine kolossale Christusstatus. Christus, der Herr, der segnend seine Hand über Donostia hält, fast wie eine Vorlage für die Christusstatue in Rio. Am Tag zuvor nahm ich mir Zeit, um einen weiteren Lauf auf einen anderen Hügel zu machen. Komoot gab mir eine Strecke vor, die zuerst im Zickzack durch einen äußeren Teil führte, dann irgendwo Trailstrecken hinauf – habe eine Hundebegegnung mit etwas Angst gut überstanden, etwas wieder Natur gespürt mit Blicken aufs Meer und die Küstenberge hinüber nach Frankreich, das nur 20 Kilometer entfernt ist.

Kirchen in San Sebastián

Kathedralen, Kirchen und Kapellen sind Monumente, in denen ich vor allem versuche heraus zu spüren: Was und wie glaubten die Menschen im Laufe von Jahrhunderten? Was prägte ihre Religiosität und wie spiegelt sich das in den Kunstwerken wider. In solchen Raumbegegnungen entdecke ich dann immer wieder auch: Wie sieht mein Glaube aus? Manchmal kommt in den Kirchen mein eigener Glaube zum Schwingen.

Die Kathedrale zum Guten Hirten ist die größte unter den fünf Kirchen. Sie wurde nach der alten Vorläuferkirche wieder neu im gotischen Stil erbaut – mit hohen Säulen, Rosetten und ganz vorne in der Apsis eine Darstellung vom Guten Hirten. Die gefällt mir. So ganz ohne Schnörkel und Leidensdramatik. Am anderen Ende einer langen Straße, dort, wo der Hügel dann beginnt, steht die Basilika Santa Maria mit ihrer typischen Barockarchitektur. Es zieht mich durch das Portal der Rokoko-Fassade. Der Heilige Sebastian ist Patron dieser Kirche. Interessant ist die Art und Weise, wie er in einer modernen Skulptur dargestellt wird: Eine silberne Säule aus Metall, in die stilisierte Pfeile gesteckt sind. Unten in der Altstadt schon ganz in der Nähe vom Meer steht die älteste der Kirche: eine gotische Kathedrale. Die vierte Kirche besuche ich in der Nähe vom Ort, wo mein Sohn seine Studentenbude hat. Ein neugotisches Bauwerk, das an die Geschichte der Jesuiten erinnert. Loyola mit dem Geburtsort von Ignatius liegt nicht weit von San Sebastián entfernt und mein Sohn studiert an einer Jesuitenuniversität ganz in der Nähe. Am heutigen Tag war es besonders, nicht allein an diesen Orten zu sein.

Durch Museen streifen

San Telmo ist das größte Museum. Ein wesentlicher Teil davon ist ein altes Kloster mit einer Kirche. Dort sind eigenartige riesige Wandgemälde. Am meisten haben mich aber die Exponate interessiert, die die Geschichte des Baskenlandes wiedergeben. Erinnerungen an den Spanischen Bürgerkrieg, der im Baskenland besonders grausam war – Guernica liegt nicht weit von hier entfernt, an die Rolle der katholischen Kirche, die so oft in Kriege verstrickt war, an die Versuche der Menschen, immer wieder neu das Beste aus oft miserablen Umständen zu machen und so zu einer Größe heranzuwachsen. Es sind wenige, aber ausdrucksstarke Objekte, die viel Geschichte erzählen: Etwa, dass die Jesuiten die ersten waren, die ein Lexikon Baskisch-Spanisch herausbrachten. INDÉSIRABLES heißt die Ausstellung, die im Museum noch zu finden ist. Es geht darum, das Schicksal der „Unerwünschten“ mit Kunst ins Bild zu bringen, von Menschen, die Opfer von Krieg, Verfolgung und Vertreibung geworden sind. Auf einer Anordnung von Kampfdrohnen steht jeweils als Flugobjektbeschreibung „COWARDICE“. Eine Frau wird in einer Videodauerschleife von dem Kanonenrohr eines Panzers verfolgt. Jedenfalls ist die Beschäftigung mit der baskischen Geschichte und auch mit der Aufarbeitung der Flüchtlingstragödien, die meist in Kriegen ihren Ursprung haben, eine gute Vorbereitung für den Online-Vortrag am Abend.

Im Hostel leben

Ich suchte bereits in Barcelona mit booking.com ein Hostel, das möglichst nahe am Bahnhof liegt. Das war dann auch so. 20 Minuten und knapp 2 Kilometer sind eine erträgliche Zeitstrecke. Allerdings war die Lage grenzwertig. An einer Ausfallsstraße entlang, unter Autobahnbrücken durch, weit abseits der Altstadt.  Auf den ersten Blick fühlte ich mich dann dort nicht wohl. Allerdings lernte ich einige Haltepunkte kennen: Ich konnte in einem Zimmer schlafen, das nur schwach belegt war und in dem auch die junge Frau schlief, die sich um das Hostel kümmerte. Sie hatte ein überaus freundliches Gemüt und ihre Gegenwart tat einfach wohl unter all den jungen Männern, viele von ihnen Arabisch sprechend. Ein anderer junger Mann sprach etwas Englisch und ich hatte immer das Gefühl, dass er auf meiner Seite steht. Er war so etwas wie das Alpha-Tier unter den Bewohnern. Beeindruckt war ich vor allem von den Muslimen, wie sie zu den Gebetszeiten im kleinen Gemeinschaftsraum ihren Teppich ausbreiteten, um ihre Gebete zu verrichten. Die Sauberkeit in der Küche war schon sehr grenzwertig, dennoch war es wieder angenehm, sich selbst das Essen zubereiten zu können. Mein Öko-Herz blutete etwas, wenn ich sah, dass die Ventilatoren im Dauereinsatz waren und die Mülltrennung nicht einmal annähernd funktionierte.

Vom Wichtigsten (…) vom Hauptgrund meiner Reise …

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