Buda und Pest und ein Eintauchen in Vergangenheit und Gegenwärtigkeit

Über das Fahren mit Zug

Grau-neblige Nässe liegt über der Landschaft, die draußen vorbeizieht. Die Seele sehnt sich nach Licht- und Farbpunkten. Das Licht der Sonne kommt nicht durch. Umso wertvoller sind Menschen, die sich Licht und Farben schenken, sind Begegnungen dort, wo es dunkel ist und Wärme, dort wo es kalt ist. (…)

Im Zug von Wien nach Budapest. Es ist der gleiche ÖBB-Railjet, in dem ich schon seit 5:10 Uhr sitze, als ich im Dunkel eines Morgens einstieg. Nur der Nebel scheint noch dicker geworden zu sein und die Feuchtigkeit draußen noch feuchter. Und doch beginnt ab der Grenze Österreich-Ungarn ein anderes Leben. Vollbesetzt ist der Zug nun.

Menschen haben eigenartige Geldscheine – ungarische Währung. Sie erinnert an ein vergangenes Jahrhundert. Ich hatte schon vergessen, dass es in der EU noch Länder gibt, in denen nicht der Euro regiert. Ein Forint entspricht 0,0025 Euro. Der Umrechnungskurs zeigt schon an: Ungarn ist ein Land mit hoher Inflation. Zuletzt bei 22 Prozent.

Sechs Jahre ist es her, seit meine Tochter in Wien studierte und wir damals – 2016 – nach Budapest fuhren. Mein Leben war noch so anders. In Wien ist heute eine Familie aus Wien eingestiegen – wie eine Bestätigung für all die Deix-Karikaturen. Ihre Essensgespräche bewegen sich zwischen der Alternative von Leberkassemmel und Schnitzelsemmel und in ausgeprägtestem Wienerslang erfahre ich, dass eine Großpackung Würstel beim Lidl 6 Euro kostet. Kurz sitzen ein Mann und eine Frau aus Israel gegenüber. Der Mann hat polnische Wurzeln. Seine Familie wurde in der Shoah ausgerottet. Wir reden nicht über die Würstelpreise bei Lidl, sondern über die Situation in Israel und in den besetzten palästinensischen Gebieten. Nach dem Regierungswechsel ist dort die Aussicht auf Frieden nochmals geschrumpft. Menschen, die nun zugestiegen sind, sehen anders aus. Ungarisch. Reden anders. Ungarisch. Einige von ihnen dürften auch Sinti sein. Zugfahren ist Kontakt mit Menschen, die man sich nicht aussucht, die zugleich ein authentisches Spiegelbild unserer Gesellschaft sind. Manche sind nervös und verbreiten Nervosität, manche sind gelassen und verbreiten Gelassenheit, manche strahlen Freundlichkeit aus und vermehren Freundlichkeit, manche sind grantig und Grant breitet sich um sie aus.

Gellért, der Stadtpatron von Budapest

Bedrohlich wirkt die bronzene Kolossalstatue des Hl. Gerhard dort, wo der nach ihm benannte Hügel beginnt. In der rechten Hand hält er ein goldenes Kreuz hoch, zu seinen Füßen kauert eine Gestalt, die der Heilige gerade vom „Heidentum“ – so die Legende – bekehrt hat. Das Kreuz wurde zum Herrschaftszeichen, das Kreuz als Waffe gegen Menschen, die einen anderen Glauben hatten. Wo immer ich in den letzten Wochen hinkam, begegnete mir diese Herrschaftsgeschichte des Christentums. Hier in Ungarn wieder besonders. Der Hl. Gerhard ist nicht irgendein unbedeutsamer Heiliger für das ungarische Volk. Er ist der erste Märtyrerbischof und zur Symbolfigur des ungarischen Christentums geworden. Im 11. Jahrhundert soll der Hl. Gerhard Bischof gewesen sein, enger Vertrauter von König Stephan I. und besonders aktiv in dem, was in der christlichen Herrschaftsgeschichte als Heidenmission bezeichnet wird. Auf dem Gellerthügel sollen – lange vor der Geschichte des missionierenden Bischofs – Hexen ihre Kulte gefeiert haben. An ihre Religion, ihre Kulte und Bräuche, ihre Tänze und ihre Verbundenheit erinnert heute nichts mehr auf dem Hügel des Gellert.

Ganz oben steht eine Freiheitsstatue – auch wieder so ein Herrschaftszeichen. Diesmal ein säkulares, errichtet als Zeichen der Befreiung nach dem Zweiten Weltkrieg. Die bronzene Frauengestalt steht auf einem monströsen Betonsockel. Sie hält in Siegespose einen Palmenwedel zwischen ihren in den Himmel ausgestreckten Händen. Heue sehe ich die Statue hinter einem Stacheldraht. Vor allem mit Blick auf die menschenrechtswidrige Behandlung der Flüchtlinge durch die ungarische Staatsregierung unter Orban ist diese Symbolik passend – gerade am Tag der Erklärung der Menschenrechte. Die Freiheit ist zu einem Denkmal erstarrt.

Paläste, Burgen und Höfe

Man könnte meinen, ich wäre zuletzt ein Sammler von UNESCO-Weltkulturerbe-Stätten geworden. Es passiert jedoch ungeplant und zufällig, dass ich darüber stolpere. So wie das Erleben der Palastanlagen Alcazira in Sevilla, Montserrat bei Barcelona oder der Strand in San Sebastian, das nur ein paar Tage zurück liegt. Der Gellerthügel, die Palastanlagen auf der Burg Buda und die Silhouette des Parlaments und der Brücken über die Donau gelten auch als UNESCO-Weltkulturerbe.

Im ausgehenden Tag – und das ist um diese Jahreszeit schon um 16.00 Uhr – versuche ich die Größe und die Ausmaße zu begreifen, in einem Museum, das die Geschichte erhellt, von Königen erzählt, die hier residierten und wieder die Macht verloren, von der islamischen Herrschaft, in der eine gotische Kapelle als Moschee benutzt wurde, bevor Muslime wieder von christlichen kriegerischen Herrschern – gerade so wie bei der Reconquista in Spanien – blutig vertrieben worden sind. Das Renaissance-Schloss, die Kuppeln, Mauern, Tore und Höfe der Burg erzählen von vergangener Macht und Herrlichkeit und erscheinen durch die Beleuchtung und im Dezemberregen noch mächtiger.

Historische Streifzüge durch Buda und Pest

In der Mitte des Dezembers ist es kalt in der Metropole Ungarns, feuchtkalt. Käme die Sonne heraus, schaffte sie es nicht in die Häuserschluchten zu wärmen und zu strahlen. Selbst die glitzernden und leuchtenden Weihnachtsdekorationen sind in dieser Stadt viel spärlicher, als ich sie zuletzt in den spanischen Großstädten von Barcelona, Sevilla, Madrid und Donastia erlebte. Energetisch gesehen ist das kein Nachteil. Vor dem Parlamentsgebäude Ungarns steht ein Weihnachtsbaum mit Tausenden bunten LED-Lämpchen, vor der Kathedrale St. Stefan gibt es einen Weihnachtsmarkt. Das ist es schon. Dafür gilt wohl umso mehr: Wärme entsteht vielmehr dort, wo Menschen sich achtsam begleiten und liebevoll begegnen.

Zwischen zerfallender Pracht und Wiederaufbau und einer Flucht in die Hügel

Etliche der Prachtbauten in den großen Straßenzügen, die lärmend sind von den Tausenden Autos, die noch mehr lärmen, wenn die Straßen regennass sind, wirken trostlos und verlassen. Riesenfenster scheinen längst nicht mehr zu dichten; von einst prächtigen Fassaden bröckelt der Verputz. Es ist, als trügen solche Bauten noch die Schäden der vergangenen Kriege, die Ungarn alle verlor. Den Ersten Weltkrieg, der für Ungarn bedeutete, zwei Drittel seines ursprünglichen Landes zu verlieren. Den Zweiten Weltkrieg, an dessen Ende die Eingliederung in den Ostblock war. Den blutigen Aufstand 1956, der mit dem Einmarsch sowjetischer Truppen nochmals blutiger niedergeschlagen wurde. Während ich durch die Straßen Budapests gehe, bin ich oft gedankenversunken in der Geschichte. Menschen, die schwarz wirken im Dunkel der Straßenzüge im Dezembergrau einer Großstadt, im Erdgeschoß so manches Geschäft, bei dem man sich wundern kann: Wird wirklich jemand mit Blick auf den Ramsch in den Auslagen so ein Geschäft betreten? Der Duft von einem Kaffee und junge Menschen, die darin arbeiten, schenkt zwischendrin Hoffnung, sich dann wieder als Winzling fühlen inmitten von Häusern, die so massiv den Horizont begrenzen. 50 Jahre kommunistische Planwirtschaft haben so viel kaputt gemacht, dass es wohl weitere 50 Jahre dauern wird, bis neues Leben wird sein können. Da tut es gut, hinauszugehen in die Hügel am Rande der Stadt, im feuchtgrauen Nebel kleine Steige zu einem Turm hinauf steigen, der in das Grau des Nebels reicht.

Abschließend

Ich habe in diesen vier Tagen – von denen zwei mit viel Reisezeit verbunden waren – etwas in das Leben und die Geschichte Budapests und damit Ungarns eintauchen können. Es waren Stunden, die mir halfen, ein wenig mehr wieder die Welt zu verstehen – und damit mich selber auch als jemand in dieser Welt zu begreifen. Der tosende Verkehr in den Straßen Budapests hat mir einmal mehr deutlich gemacht, wie unsere Welt einem apokalyptischen Untergang entgegenfährt und ich wünschte mir, ich hätte den Mut zum Widerstand der Menschen der „letzten Generation“. Die Erinnerung an eine Geschichte, die so sehr mit jener von Österreich verknüpft ist, macht einerseits wieder neu betroffen, andererseits schenkt sie auch Hoffnung, dass fundamentale Änderungen möglich wären.

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