Klimakleben in Innsbruck

Anfang Februar 2023. Halb acht Uhr morgens. Eisige Temperaturen. Selbst der nahe Inn dampft. Viel mehr aber „dampfen“ die Autos. Ich rieche die Abgase in der Stadt zwar nicht mehr, weil ich es gewohnt bin, zugleich weiß ich davon. Ich bin stark genug, um daran nicht zu erkranken, auch wenn ich merke, dass dann, wenn ich in den Bergen bin, meine Lungen beschäftigt sind, den Dreck wieder heraus zu husten. Die Virologin Prof. von Laer, die mit ihrem Hund neben mir steht, könnte es mir medizinisch genauer erklären, was sich da an Giftstoffen in meinen Lungen jeden Tag festfrisst. In der Kälte puffen die Motoren noch mehr Emissionen heraus. Am Zebrastreifen von der Innbrücke hinüber in die Altstadt haben sich acht Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten der Letzten Generation bereits für ihre Aktion vorbereitet. Orang-leuchtende Warnwesten, Kleber. Strategische Planung steht im Hintergrund. Niemand soll gefährdet werden. Beim Grün der Fußgängerampel setzen sich die Aktivistinnen und Aktivisten auf den Zebrastreifen vor die bei Rot wartenden Autos. Die B 171, die an dieser Stelle Herzog-Otto-Straße genannt wird, ist im morgendlichen Frühverkehr nun gesperrt. Selbst ohne diese Sperre gibt es an diesem Punkt zu vielen Tageszeiten einen Stau. Und auf der 161 Kilometer langen Bundesstraße 171 zwischen Kufstein und Flirsch wird es an diesem Morgen noch viele Staus geben – selbst ohne Blockadeaktionen. Im Morgenverkehr blockieren sich die Autofahrenden aufgrund ihrer Masse ohnehin meist selber. Zurück nach Innsbruck. Ein paar Autofahrende hupen nervös. Ein Passant beschimpft unflätig den Mann, der sich vor mir auf den Zebrastreifen geklebt hat. „Du … geh heim …“ Der Klimaaktivist bleibt ruhig. Er verweist sachlich auf die Menschengruppe, die sich wie eine Schutzwand hinter die Angeklebten der Letzten Generation gestellt hat. Es sind die „Scientists for Future Tirol“. Die Professoren könnten genau erklären, was sie täglich neu in ihren Forschungen feststellen, in den Hörsälen lehren oder in Fachmagazinen publizieren. In „Science“ hat einer der Wissenschaftler erst vor ein paar Tagen veröffentlicht, dass die Welt in Richtung +3 Grad Celsius Klimaerwärmung steuert. Es würde bedeuten, dass 75 Prozent der Gletscher bis 2100 verschwunden wären. Jedes Zehntelgrad weniger zählt, um das Abschmelzen einzudämmen, so ihre Botschaft. Deswegen sind einige von ihnen an diesem Morgen auch hier und geben Rückendeckung für die „Letzte Generation“. Deswegen bin auch ich hier. Auf der Innbrücke ist das schöne Rudi-Wach-Kruzifix und auch Jesus gibt symbolische Rückendeckung. Aber wahrscheinlich ist sein Widerstandsgeist ohnehin bei den Aktivistinnen und Aktivisten, die vor mir auf der Straße kleben. Ich rede mit Josef Aigner, Professor em. für Psychoanalyse an der Uni Innsbruck. Er spricht von der großen Verdrängung, was die schleichende Klimakatastrophe betrifft. Ingomar Glatz von den Scientists for Future Tirol spricht von der Vergeblichkeit, mit der die Wissenschaft seit 50 Jahren auf die Hölle der Klimaveränderung hinweist und nennt das apokalyptische Bild vom „brennenden Haus“. Wilhelm Guggenberger vom Institut für Systematische Theologie der Uni könnte es theologisch exakt begründen, warum er hier steht.  Hans Stötter, Professor für Geographie an der Uni, sieht die Notwendigkeit für drastischere Maßnahmen. Schwester Notburga demonstriert in ihrer Ordenstracht in franziskanischem Geist. Meine Dankbarkeit gilt vor allem den Aktivistinnen und Aktivisten, die mehr als eine Stunde mit einer Hand auf der eiskalten Straße kleben. Darunter Katharina Geistlinger, Mutter von drei Kindern, die es vor allem ihrer drei noch kleinen Kinder wegen macht. Die Polizei reagiert höchst achtsam. „Darf ich Ihre Personalien aufnehmen …“, fragt höflich ein Beamter. Ein anderer mahnt die aggressive Fahrerin, die bösartig hinter dem Steuer sitzt, hektisch telefoniert und hupt. Anwesend sind auch viele Vertreterinnen und Vertreter der Medien. Die Botschaft wird hinausgehen: Wir könne nicht weitermachen wie bisher. Das Haus brennt. Mit der Forderung nach Tempolimits 80/100 sind wir schon vor mehr als 30 Jahren auf die Straße gegangen. Wahrscheinlich waren unsere Aktionen damals aber zu harmlos und haben Flugblätter und Pickerl zu wenig bewirkt.

Klaus Heidegger

Kommentare

  1. Dazu passend heutige Sendung auf Ö1

    PUNKT EINS

    Heilige Kuh Verkehr
    Der lange Weg zur Bändigung von PKW und LKW. Gäste: Prof. Dr. Astrid Gühnemann, Leiterin des Instituts für Verkehrswesen der Universität für Bodenkultur Wien & Fritz Gurgiser, Obmann des „Transitforum Austria“. Moderation: Alexander Musik. Anrufe 0800 22 69 79 | punkteins(at)orf.at

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.