Bei Flaggen bin ich meist skeptisch, wurden und werden sie doch allzu oft für kämpferisch-heroischen Nationalismus eingesetzt. Die Regenbogenflagge ist die einzige Fahne, die mir als Symbol für Frieden und Gleichberechtigung – je nach ihrer Positionierung – nahe ist. Manchmal allerdings können Flaggen als Zeichen gesehen werden, die den Mitgliedern eines Volkes Heimat und Verbundenheit bedeuten und Kraft schenken, um sich fremder Gewalt nicht zu beugen. Die armenische Flagge mit ihren drei horizontalen Balken könnte als gewaltfreies Zeichen interpretiert werden für ein Volk, das den ersten Genozid im 20. Jahrhundert erlebte und heute noch einen Überlebenswillen zwischen Einflusssphären bekundet, die gegen die eigene Republik gerichtet sind. Rot steht für das Blut, Blau für den Himmel und Orange für die Fruchtbarkeit der Erde: so haben es mir die beiden Menschen aus Armenien erklärt, die als Flüchtlinge vor vielen Jahren nach Innsbruck kamen und heute Mitglieder der armenischen Diaspora sind. Vor kurzem war ich beim Genozid-Erinnerungstag, der von der armenischen Diaspora, dem Welthaus Innsbruck und Pax Christi Tirol durchgeführt worden ist. Der Kreuzstein im Mariahilfpark in Innsbruck war der Ort, wo an den Völkermord von 1915 im Osmanischen Reich erinnert wurde. In den Jahren 1915 bis 1923 wurden an die 1,5 Millionen Menschen Opfer des Genozids. Die damalige K&K-Monarchie machte sich als Verbündeter des Osmanischen Reiches mitschuldig am Völkermord an den Armenierinnen und Armenien. Seit dem hundertsten Jahrestag des Völkermords gibt es den Kreuzstein im Mariahilfpark. Der Chatschkar, so der Fachbegriff für den armenischen Kreuzstein, ist ein Monolith. Auf einer Seite hat er ein Reliefkreuz in der Mitte. Es ist ein „blühendes Kreuz“. Die blühenden Ranken, die aus den Enden der Kreuze hervorbrechen, stellen die Erlösung der Menschen dar. Geometrische und pflanzliche Motive ranken sich rundherum. In diesem Symbol wird auch deutlich, dass das Christentum – konkrete die Armenische Apostoloische Kirche – für das armenische Volk eine besondere Rolle spielt. Von Papst Franziskus stammt das Zitat: “Wo es keine Erinnerung gibt, hält das Böse die Wunde weiter offen; das Böse zu verbergen oder zu leugnen, ist wie zuzulassen, dass eine Wunde ohne Behandlung weiterblutet!“