Desertion als Widerstand

Befreiende Erinnerungen

Der 4. Mai. Die Ganalm oberhalb vom Vomperloch. In dieser wilden Gegend hatte sich weit über ein Jahr ein Gruppe von Deserteuren der Wehrmacht in einer kargen Hütte vom Sommer 1944 bis zum Mai 1945 versteckt gehalten. Wenn ich an einem 4. Mai die wunderbare Strecke von Gnadenwald über Ganalm, Walderalm und Hinterhornalm fahre, dann kann ich nicht anders, als mit Dankbarkeit an die Männer zu denken, die ihren Kriegsdienst im Angriffs- und Vernichtungskrieg der Wehrmacht verweigerten. Am 4. Mai konnten sie endlich ihr Versteck verlassen. Tirol und Innsbruck waren befreit. In einem Bericht aus Innsbruck vom 4. Mai 1945 heißt es: „Die Kaktus-Männer (Soldaten der amerikanischen Befreiungsarmee) konnten kaum ihren Augen trauen. Es war wie die Befreiung von Paris. Der Jubel war ungeheuer. Männer, Frauen und Kinder schrieen den einmarschierenden Truppen Begrüßungsworte zu und streuten ihnen Blumen. Den Soldaten wurden Cognac- und Weinflaschen angeboten. Hübsche Mädchen kletterten auf Panzer und Jeeps, um die Soldaten zu küssen. Österreichische Fahnen wehten überall in der Stadt. Man sah keine weißen Fahnen. Die Menschen schienen den Einmarsch der US-Truppen als Befreiung zu betrachten. Deutsche Soldaten standen, immer noch in Uniform, am Straßenrand; sie trugen ihre Waffen, aber auch Armbinden mit ´Freies Österreich´ und riefen uns zu ´Heil den Amerikanern!´ Die Szene unterschied sich vollkommen von allem, was die Soldaten in deutschen Städten erlebt hatten.“ 78 Jahre später.  In den Ursulinensälen in Innsbruck werden die Ergebnisse eines Forschungsprojekts über die Wehrmachtsdeserteure von Innsbruck vorgestellt. Es war bislang ein vergessenes – wohl auch verdrängtes Kapitel. Rund 2000 Deserteure der Wehrmacht gab es im größeren Bereich Tirols. 1200 Fälle sind namentlich bekannt. Rund 70 Deserteure mit Bezug zu Innsbruck sind verurteilt worden. 46 davon wurden hingerichtet. Gedenkorte für sie gibt es bislang keine. Die Forschungen der Uni Innsbruck zu diesem Thema werden dazu beitragen, dass Gedenkzeichen entstehen.

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