Gorizia – besser im Deutschen bekannt als Görz – liegt unweit nordwestlich von Triest. Auch diese Stadt erzählt eine Geschichte, wie sie nicht hätte sein dürfen. Im Ersten Weltkrieg verlief hier die Isonzo-Piave-Frontlinie, wo Generäle die Alpini der italienischen Armee auf der einen Seite und die Kaiserjäger der K&K-Armee auf der anderen Seite in einen langjährigen Stellungs- und Abnützungskrieg schickten. Man kämpfte und mordete, um Grenzen zu ziehen: Hier Österreich-Ungarn, dort Italien. Beide Seiten wähnten sich stets im Recht. Es ging um Ehre. Es ging um Vaterland. Im Zweiten Weltkrieg wurde wieder gekämpft. Jugoslawische Partisanen dort, Italiener auf der anderen Seite. Entscheidungen, wem das Land und die Stadt nun gehören, wurden auf Konferenzen gefällt. Schließlich wurden Grenzen gezogen. Eine ging mitten durch die Stadt. Der Bahnhof von Gorizia kam zu Jugoslawien, der Bahnhofsvorplatz wurde in der Mitte geteilt und war halb italienisch.
Die Grenze ist heute zwischen Italien und Slowenien nicht mehr relevant. Die Grenzposten beider Länder sind im gemeinsamen Schengenraum-System längst funktionslos geworden. Eine neue Grenze freilich hat die EU geschaffen. An der EU-Außengrenze in Griechenland geschehen Pushbacks. Flüchtende Menschen werde auf manövrierunfähige Rettungsinseln gesetzt und ins offene Meer getrieben.
In der Früh las ich die Nachrichten am Smartphone. Auch heute gibt es einen Krieg, wie er nicht sein dürfte. Es geht, so wie damals, um Gebietsgewinne und Frühlingsoffensiven, um Stellungs- und Abnützungskrieg. Lieferungen von westlichen Kampfjets sollen den ukrainischen Streitkräften helfen, die Grenzen neu zu definieren. Der Krieg in der Ukraine geht in eine neue Phase. Selenskj jettet im Militäroutfit unermüdlich von Gipfeltreffen zu Gipfeltreffen und trifft sich mit den mächtigsten Herren der Welt, um für seine militärischen Pläne Unterstützung zu bekommen. Und er hat Erfolg damit. Auch die Krim soll wieder ukrainisch werden. Der Donbass soll befreit werden. Man will es dem russischen Aggressor zeigen – mit allen militärischen Mitteln.
Gorizia wurde in den beiden großen Kriegen zerstört, Bachmut ist heute zerstört. Vor allem aber: Menschen werden getötet – und Heldendenkmäler werden erbaut. Mit solchen Gedanken nehme ich Gorizia wahr: Die alten Häuser, von denen wohl jedes zweite in der Altstadt unbewohnt zu sein scheint und dringend einer Renovierung bedürfte, die mittelalterliche Burg darüber, eine typische Jesuitenkirche aus der Barockzeit, viele geschlossene Geschäfte unter den Arkadengängen. Vielleicht wird der Status der Stadt als Kulturhauptstadt 2025 etwas helfen, den Staub der Vergangenheit abzuwischen und neues Leben in die Stadt bringen.