Im kleinen Garten vor der Tür, da blühen sie nun, am Beginn des Sommers, weit mehr als hundert Rosen, zartrosa, tiefrot und knallgelb, und manche der ganz kecken Rosen wachsen hoch dem Himmel entgegen und lassen das dicke wilde Gestrüpp darunter weit unter sich. Es sind Rosen, die von Liebe erzählen und wachhalten, was täglich neu an Sehnen in dem lebt, der da blickt auf die Rosen im kleinen Garten vor der Tür, während der Schreibende sich eins fühlt mit Poesie vergangener Jahrhunderte, Gedichte liest von Heinrich Heine, Ingeborg Bachmann oder Christine Lavant, nicht um sich selbst mit ihnen zu messen, sondern durch sie sein Sein besser zu verstehen. Beim Blick auf die Rosen philosophiert er über sein Geworfensein in den ontologischen Denkkategorien eines früheren Heidegger und sucht stets neu seinen Augenblicken Sinn zu geben, die doch letztlich nur in einem gnadenhaften Geschenktsein ihren Sinn finden könnten. Kommt der Schreibende nicht weiter im Dickicht seiner Gedanken und mit Blick auf die Rosen, befragt er noch andere der großen Denkerinnen und Denker, von Adorno bis zu Zarathustra und fände doch die Antwort auf sein Suchen letztlich nur in einem gelingenden Zusammensein. Wem könnte er schenken eine der Rosen, zartrosa, tiefrot oder knallgelb? Da ist niemand, die an der Tür läutete, um sich mit ihm zu betören am Duft der Rosen, um sich zu stechen an ihren Stacheln und der so schnell vergänglichen Schönheit ihrer zarten Blätter und beim Anblick der Rosen gemeinsam zu philosophieren über den Sinn des Seins und über ein Leben, das zur Rettung der Welt beitrüge. Wie eine Wildnis ist sein Garten, von jetzt kräftigen Hecken umgeben, hinter der Autos auf der Straße lärmen oder parken am Parkstreifen davor. Die Insekten lieben die Wildnis. Über dem Hochhaus gegenüber und dem Dach der Wohnanlage vor ihm und der betonernen Decke des Balkons darüber erspäht er einen kleinen Fleck vom Blau eines Himmels, so als blickte er zwischen Gitterstäben eines Gefängnisses in die mögliche Freiheit. Er freut sich, wenn nachmittags ein wenig sich die Wohnung erhellt von einer meist von Häusern verdeckten Sonne im noch frühen Sommer, den der von den Rosen Betörte schon jetzt gefüllt hat mit Sehnen nach einem Leben in Fülle, von dem die Rosen im kleinen Garten vor der Tür erzählen. Das wilde Chaos des Gartens spiegelt sich in dem chaotischen Wirrwarr von Büchern und Schriften in seiner Wohnung und ist zugleich Spiegelbild einer Seele, die sucht nach einer Kraft, die Ruhe schenkt und mit ihr eine Heilung in einer Welt, die sich mehr und mehr von seinen Utopien entfernt und dystopischen Schreckensbildern sich nähert, was ihn ängstigt. Daher erträumt er sich Menschen, mit denen er teilen könnte seine Träume und Gedanken. All die positiven Aufbrüche vergangener Zeiten bestärken in ihm den romantisch verklärten Rosenblick, weil Brot und Rosen – Zuckererbsen für alle und Liebe – keine Widersprüche sind, sondern heilswendend zusammengehören. Nachrichten von Kriegen und ihren Vorbereitungen und von der ungebrochenen Zerstörung der Schöpfung werden von der Hecke und den Rosensträuchen seines kleinen Gartens nicht abgehalten. Gäbe es nicht jene Gruppen, in denen er politische Heimat findet, so hätte er weniger Mut, er wäre verloren in dem Bestehenden, gäbe es nicht Freundschaften, die ihm etwas vom Duft und der Schönheit der Rosen erzählen, er würde sie übersehen, im kleinen Garten vor ihm, wäre er nicht beschenkt mit jenen wichtigsten Menschen in seinem Leben, so hätte es wohl nicht jenen tiefsten Sinn, der darin liegt, nicht für sich selber zu leben.