Die Alpenrosenhütte wird für unser zweitägiges Bergunternehmen zum Stützpunkt. Die Sommer-Bergsaison hat noch nicht begonnen. In der privaten geführten Schutzhütte ist es vorsaisonmäßig ruhig und die Wirtsleute und die Saisonkraft sind gastfreundlich motiviert und verwöhnen uns umsichtig. Die Anfahrt mit Rad, Zug bis Jenbach, Zillertalbahn, Bus von Mayrhofen bis zum Gasthaus Breitlahner gibt ein gutes Umwelt- und Zeitgefühl und bringt in Kontakt mit anderen Menschen. In Mayrhofen wimmelt es jetzt schon von Urlauber:innen vieler Nationen um die Verkaufslokale und Restaurants mit den unfreiwillig kabarettreifen Aufschriften, die für eine Fortsetzung von Mitterers Piefke-Saga sorgen könnten. Dazu passt wohl auch die kitschige Alpenfolkmusik, die im Bus gespielt wird. Auf dem Wanderweg hinein ins Zemmtal mit dem imposanten Grawandwasserfall und der eindrucksvollen Schlucht bis hin zum Zemmgrund begegnen uns um diese Jahreszeit kaum Wandernde. Nach dem Beziehen der Unterkunft bleibt gerade noch so viel Zeit für eine Begegnung mit dem Schönbichler Horn. Von der Alpenrosenhütte bis zum Gipfel auf 3134 m sind es nochmals knapp 1300 Höhenmeter. Mächtig ziehen sich am Himmel Gewitterwolken zusammen. Wir wagen dennoch den Aufstieg. Vor dem Einstieg in den Gipfelaufbau mit den Drahtseilversicherungen sind ein paar blöde Schneefelder und ein schmaler Schneegrat. Allerdings ist es gut zu stapfen. Ein mulmiges Gefühl habe ich dennoch dabei. Nun ist das Gewitter fast ringsherum, nur uns verschont es. Dennoch: Schnell hinunter.
In der Nacht begleitet mich das kräftige Rauschen des Zemmbaches. Die Nacht wird selbst auf fast 2000 m nicht kühl. Ein warmer Wind bringt Sahara-Staub. Er wird sich auf die Reste der Gletscher legen und diese – so bräunlich geworden – noch schneller zum Schmelzen bringen. Gerne trage ich das Seil – gibt mir wieder das Gefühl, nützlich zu sein und zugleich bedeutet Seil für mich immer Sicherheit. Sommersonnwend ist vorbei und der längste Tag des Jahres beginnt gleich um halb fünf. Vorbei geht es dem Steig mit den breiten Steintreppen an der imposanten Berlinerhütte. Noch strahlt sie Winterruhe aus. Eine lusterhafte bunte Lampe leuchtet am Eingang. Wie wird das Wetter heute wohl werden? Auch von einer Gewitterfront sprach der Wetterdienst. Tatsächlich ziehen grau-schwärzliche Wolken um unser Ziel, den Schwarzstein. Es ist ein eigenartiger Gipfel. Sein schwarzer Felsaufbau ragt aus einem breiten Gletscherrücken hervor. Wie werden die Bedingungen sein? Ich kenne ja gut meine Unsicherheit, wenn es heißt, steile Schneefelder in abschüssigem Gelände zu passieren. Auf dem markierten Steig heißt es aber zunächst an einigen Stellen Bäche zu queren, die in dieser warmen Zeit der Schneeschmelze kräftig sind. Ich spüre das Seil auf meinem Rücken und denke an das grüne Plastikkrodil und Zeiten von damals, als keine Zeit war für Berge, sondern für jene wertvolle Zeit, um mit einem Kind auf den Schultern und einem aufgeblasenen großen Schwimmkrokodil zu einem Strand zu gehen. Eine lange Querung führt dann zum Beginn des Gletschers, an dem wir uns anseilen. Peter wählt mit professioneller Sicherheit die Route und geht voran, was heißt: hin und wieder knietief im aufgeweichten Schnee einzusinken. Er wählt dann die Überschreitung. Eine Blockkletterei wäre mir lieber gewesen als die tief verschneiten Felsen. Da tut die Ermutigung der Seilpartner jedenfalls gut. Wir sind eine tolle Seilschaft, in der so viel selbstverständliche Achtsamkeit füreinander spürbar wird. Es verbindet uns mehr als die Liebe zu den Bergen. Beim Abstieg nehmen wir noch einen kleinen Gipfel, das Felsköpfl, mit, von dem aus die markante moderne Schwarzensteinhütte im hintersten Ahrntal ganz nahe ist. Beim Abstieg bleibe ich immer wieder stehen – blicke zu den nahen Gletschern, deren Zungen sich weit hinauf zurückgezogen haben. Noch liegt der frische Frühjahrsschnee auf ihnen. Wird der Klimawandel in diesem Sommer wieder zu einer Rekordschmelze führen? Ich weiß jedenfalls, wieso ich letzte Woche jeden Tag die Aktionen der Letzten Generation unterstützt habe. Die Kipppunkte sind hier in der Gletscherwelt der Zillertaler Alpen greifbar.