Nach sieben Tagen Non-Stop-Radeln von Innsbruck nach Kopenhagen ist nun Pause angesagt – „Hygge“ könnte man es auf Dänisch sagen. „Gemütlichkeit“. Unser Quartier entspricht dem Hostel-Lifestyle des 21. Jahrhunderts. Alles ist funktional durchdacht. Die Schlafkojen im Viererzimmer bieten trotz der Kleinheit des Zimmers genügend intime und geräuschreduzierte Rückzugsmöglichkeit. Im Parterre findet sich alles, was Reisende – und es sind vor allem junge – brauchen: Bars und Restaurants mit einfachem Essen, sogar ein Fitnessstudio und eine Turnhalle und viele Sitzbereiche, um sich zu treffen und zu kommunizieren. Im Hostel entfaltet sich ein lebendiges organisiertes Gewusel, wo man sich letztlich schnell zurechtfindet. Die Funktionalität führt dazu, dass eine große Zahl von Reisenden zu einer einfachen und preisgünstigen Bleibe findet. Zwei Reisende mit ihrem Radoutfit würden ohnehin nicht in eines der Hotels passen.
Kopenhagen ist Hafenstadt und an Wasser gebaut. Einige der Häuserreihen mit hochmodernen Glashochhäusern oder den traditionellen Backsteinbauten liegen an Kanälen, die mit dem Meer verbunden sind. Wie alle Großstädte dieser Welt ist auch die dänische Hauptstadt von Gegensätzen geprägt: In den Panzerglasscheiben der Luxuspaläste spiegeln sich die Fassaden der Gemäuer von der Freistadt Christiania. Wir spazieren zu früher Morgenstunde durch dieses Projekt alternativen Lebens. Die Häuser wirken heruntergekommen und die Graffitis können nicht das Zerbröckelnde verdecken. Viel Abfall liegt herum. Am auffälligsten sind Menschen, die sich hier finden, um einen Joint zu rauchen. Es riecht danach an jeder Ecke. Beim Spaziergang durch Christiania – das so viel kleiner wirkt als in meinen bisherigen Vorstellungen – wird mir jedenfalls klar: Das Leben hier ist keine Alternative zum Leben jenseits der Grenze von dieser Freistadt, auch wenn das Leben auf der anderen Seite in vieler Hinsicht Welt und Menschen kaputt macht.
Einige der touristischen Orte liegen auf unserem Spaziergang durch Kopenhagen. Auf einen 90 Meter hohen Turm führt eine Wendeltreppe – zunächst über Holzstiegen im Inneren dann in einer Spirale im äußeren Bereich. Die kupfernen Treppen werden immer enger bis zur Spitze des Turmes. Von dort oben lässt sich Kopenhagen gut erfassen: Der Blick auf die alten Häuserreihen im Backziegelbautenstil, auf Glastürme der Gegenwart, auf die Kanäle und das Meer im Hintergrund. Auf unserem Weg lasse ich mich durch Kunstwerke inspirieren: Eine überdimensional stilisierte Waschmaschine in grüner Farbe steht an einem der Kanäle und symbolisiert die Gefahr des „Greenwashing“ und macht auf die SDGs aufmerksam. „Infinite Space“ heißt ein begehbares Objekt, in dessem Inneren sich ein Mensch in einer Spiegellandschaft vorfindet, die keinen Anfang und kein Ende kennt. Vor dem Außenministerium steht eine Skulptur, die einen Block darstellt, der zackig in der Mitte zerbrochen ist und Licht durchscheinen lässt. Am Nyhavn, der farbenprächtige Häuserfront am Kanal am Eingang zu historischen Stadt, sind dann schon wieder Touristenmassen und – man glaubt kaum, dass Sonntag ist – in der kilometerlangen Einkaufsstraße wird dem Konsum gehuldigt. Wir kommen am königlichen Palast vorbei mit dem großen Platz davor und machen dann einen touristischen Pflichtbesuch bei der berühmtesten Frau von Kopenhagen – berühmter noch als Königin Margareta II. Die kleine Statue der Meerjungfrau ist auch an diesem verregneten Tag Ziel von einer Schlange von Touristen und wie könnte es anders sein, als dass ich von einem japanischen Paar gefragt werde, ob ich von ihnen in Foto mache mit der Meerjungfrau im Hintergrund. Haben sie diese wirklich gesehen? Ein paar Minuten sitze ich etwas abseits der Masse direkt am Meer vor der bronzenen zierlichen Schönheit, die für die Ur-Sehnsucht einer Verbindung von Meer und Land, von Traumwesen und Wirklicht steht, einer Existenz zugleich, die sich an der Grenze findet und ein Hier und Dort verbindet. Wahrscheinlich ist es das, was zumindest unbewusst die Meerjungfrau zum wirklichen Wahrzeichen von Kopenhagen gemacht hat – und es ist gut so, dass nicht eine der kriegerischen Reiterstatuen der Fokus des Interesses ist. Um etwas besser die Geschichte Dänemarks zu verstehen, lassen wir uns ins Nationalmuseum verleiten. Allerdinges ist dieser renommierte Ort in vieler Hinsicht enttäuschend. Die Ausstellungsräume haben teilweise den Charakter von einem überfüllten Trödelladen. In der sich wiederholenden Fülle von Objekten geht die Einzigartigkeit verloren. Meine Sinne und mein Geist orientieren sich dann an einzelnen Objekten und ich staune dann, wie groß das nachgestellte Wikingerschiff war. In der Wikingerausstellung wird völlig unkritisch dargestellt, wie die christliche Missionierung den Glauben an die alten Gottheiten verdrängte, ganz der Ideologie vom Sieg des Christentums über die Heiden getragen. Die ethnographischen Abteilungen gleichen der Präsentation eines Beutezuges aus den damaligen dänischen Kolonien. Kritische Aufarbeitung? Nein! Ich tröste mich mit ein paar kostbaren mittelalterlichen Kunstwerken, die wenig wertschätzend abgestellt in Nebenräumen von fast allen Besucherinnen und Besuchern unbeachtet bleiben. Als Bild nehme ich die Hl. Margareta mit, die liebevoll den Drachen in ihrem Arm trägt. Ein versöhnliches Bild.