Restgletscherkontakt und Geröll
Mittwoch, 2. August 2023. Für heute sind stabiles Wetter und Sonnenschein vorausgesagt. Heute ist auch unsere längste Etappe. Wir werden gleich zwei der bekanntesten Via ferrata der Alpen miteinander verknüpfen, um so vom Rifugio Alimonta zum Rifugio Agostini zu kommen. Wir sind als erste von der Hütte aufgebrochen und nehmen die Markierungen Richtung Sfulmini-Gletscher. Dort enden dann die Spuren. Die Querung des Gletschers ist nicht lang. Auf dem Blankeis liegen lose Steine. Wir ziehen Grödel bzw. Steigeisen an und queren zum gegenüberliegenden steilen Geröllfeld links vom Gletscher. Zwei andere Gruppen haben sich diese Querung und damit das Anlegen von Steigeisen erspart und sind gleich in den Steigspuren über das Geröll geblieben und nun vor uns.
Highline im Herzen der Brenta
Vom Joch weg führt dann zunächst eine steile Leiter hinauf. Eine erste Gruppe lässt uns vorgehen, die andere bremst etwas ab. So bleibt etwas mehr Zeit für Tiefblicke. Für die Berühmtheit dieses Eisenweges ist dennoch wenig los. Es ist, als wäre der Steig mit einem Lineal in die Wände geschnitten worden – und doch sind es ganz natürliche Bänder. Sonne scheint auf das großartige und extrem ausgesetzte Felsband. Zu viel schaue ich aber nicht hinunter! Sehr luftig für mich!!! Beim berühmten Felsturm Campanile Basso – dort hängen Kletterer in der Wand und man hört ihre Stimmen – geht es dann auf die Ostseite der Kette und wieder folgen lange Felsbänder, die schließlich in einer horizontalen Querpassage auslaufen, die mit Eisentritten überwunden wird. An der Bocca die Brenta endet dieser berühmte Klettersteig. Nur wenige Höhenmeter Abstieg auf die Westseite – und wieder tut sich ein gigantisches Panorama auf mit immer neuen mächtigen Felstürmen – und wir sind beim Rufgio Pedrotti.
Rifugio Pedrotti
Auch bei dieser klassischen Berghütte, umgeben von unzähligen hohen Felstürmen und senkrechten Wänden mit Überhängen, würden Menschen, die die Fähigkeit und den Willen für schwierige Routen haben, aus einer Überfülle schöpfen können. Für mich jedenfalls reichen die Klettersteige. Nur kurz machen wir auf der Bank vor einer hässlichen Kapelle Rast. Immer wieder treibt der Wind Nebelwolken um die Bergspitzen. Die anderen Gruppen sind hinter uns geblieben. Gleich nach dem ersten Drittel konnten wir vorgehen. Es gab auch kaum Entgegenkommende. Der Ruf, der Bocchette Centrale sei überlaufen, stimmte heute nicht. Hinauf zum nächsten Klettersteig sind wir schließlich lange allein, so dass man schon vermuten könnte, auch dieser Steig sei gesperrt.
Brentari-Klettersteig und Brenta-Nebel
Der Steig führt weit durch Geröllfelder und Steinlabyrinthe hinein. Die Markierungen sind gerade ausreichend. Manchmal sind auch Steilstufen dazwischen. Wohl mehr als eine Stunde dauert es, bis wir zu einer Tafel kommen, die den Beginn des eigentlichen Klettersteiges anzeigt. Die Wand hinunter zum Ambiez-Gletscher ist hoch und senkrecht. Zum Glück gibt es Leitern, Drahtseile und Klammern – eine lange Leiter hängt sogar etwas über – um über die glatten Felsen meist senkrecht hinunter zu steigen.
Unten am Ambiez-Gletscher ziehen wir uns für die Querung noch einmal Steigeisen bzw. Grödel an. Mir geben die Steigeisen immer ein besseres Gefühl. Die Gletscherzunge ist so mit Geröll bedeckt, dass er kaum mehr sichtbar ist. Bald wird es ihn wohl auch nicht mehr geben. Nun ist der Nebel voll da. Auf der anderen Seite der Querung des Gletschers sind keine Steigspuren im Geröll und dem Meer aus Steinen mehr zu erkennen, keine Markierungen oder Steinmandl – nur dicke Nebelsuppe. In so einer Situation wäre es gut, ein GPS-Tracking machen zu können. Jedenfalls nehme ich mir vor, dies einmal kennenzulernen. Meine Begleiterin vertraut ihrem Gefühl und geht im Steinlabyrinth voran. Tatsächlich finden wir nach einiger Zeit wieder zurück zu Markierungen und im Nebel geht es den Steig hinunter zur Agostini-Hütte, deren rotes Dach erst unmittelbar davor erkennbar wird. Dankbare Umarmung, dass wir dies so geschafft haben.
Rifugio Agostini
Das Rifguio Agostini mit sehr freundlichem Personal – dies zieht sich durch! – ist wiederum ein klassisches Schutzhaus. Wieder haben wir ein Sechserzimmer. Einige der Menschen hier haben wir bereits auf der Tucketthütte vor zwei Tagen gesehen. Nicht alle aber hatten heute dieselbe Routenwahl. Wir werden verwöhnt mit einem dreigängigen Menü, mit Menschen, die jetzt auf der Hütte entspannt sind und miteinander den Tag in dieser großartigen und zugleich fordernden Bergwelt ausklingen lassen.